Die dritte MCU-Serie für Disney+ ist sowohl die im Vorfeld am schwierigsten einzuschätzende Serie gewesen, als auch im Nachhinein die am vielleicht schwersten zu bewertende. In noch keine neue MCU-Geschichte ging ich so blind und unwissend. „WandaVision“ war Mystery und Sitcom in einem, unerwartet und rätselhaft, aber vom Konzept her doch schnell auszumachen, wenn man die Protagonisten und ihre bisherige Geschichte verfolgt hat. „The Falcon and the Winter Soldier“ schlug wieder die klassische MCU-Richtung ein und fand sich als Action-Thriller als geistiger Nachfolger der Captain-America-Trilogie wieder.
„Loki“ hingegen konnte sich nach seinem billigen Ausscheiden aus „Avengers: Endgame“ in jeder erdenklichen Situation wiederfinden. Diese Serie hätte alle möglichen Wege einschlagen können. Am Ende überrascht „Loki“ womöglich jeden Zuschauer, weil sich der namensgebende Protagonist in einer kaum vorhersehbaren Lage wiederfindet. Es geht um Raum und Zeit, und nicht weniger als die gesamte Realität und letztlich auch Zukunft des MCUs. Somit ist „Loki“, gerade mit Blick aufs Staffelfinale, die seit langer Zeit wichtigste Geschichte für das Marvel-Universum, die überraschenderweise nicht im Kino stattfindet.
Denn eigentlich müsste ich diese Serie vehement ablehnen: Im Gegensatz zu den anderen beiden genannten Serie, handelt es sich bei „Loki“ um die erste ganz offensichtlich aus reinem Kalkül produzierte Disney+-Show. Diese Serie sollte es gar nicht geben, weil seine Figur nach jahrelanger Kinopräsenz und einem befriedigendem Handlungsbogen ihr berechtigtes Ende in „Infinity War“ erhalten hat.
Aber Kevin Feige kann sich einfach nicht von dem hochbeliebten Gott des Schabernacks trennen und so sahen sich die Russo-Brüder gezwungen im Finale der Avengers noch eine billige Exit-Option für Loki einzubauen. Einer der vielen kleinen, qualvollen Momente dieses miserablen Films. Denn Figuren dürfen nach 10 Jahren nicht einfach mal auserzählt sein und sterben. Also was hat diese anknüpfende Serie jetzt noch zu erzählen, über einen Loki, der längst auserzählt war?
Auf den ersten Blick mehr als erwartet, auf den zweiten weniger als erhofft. „Loki“ steigt phasenweise durchaus tiefer in die Psyche des unglücklichen Gottes ein, aber erzählt dabei nicht immer so viel Neues, was uns die Filme über ihn nicht schon unterschwellig mitgeteilt hätten. Ein zweischneidiges Schwert ist dabei auch das Porträt des „alten“ Lokis: Ein Reiz der Serie ist es sicherlich gewesen, den rücksichtslosen und abgezockten Loki des ersten Avengers-Films wiederzuerhalten. Und obwohl dem die ersten 1-2 Folgen durchaus gerecht werden, findet sich seine Persönlichkeit doch recht schnell wieder an dem Punkt, an dem wir ihn in „Infinity War“ verlassen haben. Ein paar längere „Therapiesitzungen“ reichen dafür aus.
Dafür überzeugen die Ausrichtung und Umsetzung des Konzeptes mehr. „Loki“ erinnert mit seinem Mystery-Ansatz und den verschiedenen Schauplätzen wieder mehr an „WandaVision“. Das Setdesign ist nicht immer das üppigste, aber mit den verschiedenen Welten und Szenarien (abgeschiedenen von der Erde) kann „Loki“ einige hochwertige Szenerien bieten. Einhergehend mit der Geschichte ist das Konzept wieder unverbrauchter und kreativer als die letzten Filme und auch die konventionellere „The Falcon and the Winter Soldier“-Serie.
Dazu kommt eine solide Inszenierung mit einem coolen Soundtrack. Wie schon die beiden vorigen Serien hat auch „Loki“ den Vorteil des seriellen Prinzips durch Disney+: Die Autoren haben sichtbar mehr Freiheiten und Zeit; die Ideen sind verrückter und kreativer; die Geschichten weniger formelhaft und eindimensional.
„Loki“ beinhaltet nun sogar einen sichtbaren Metakommentar auf das MCU insgesamt. Die TVA-Organisation, in der sich Loki wiederfindet, beschreibt ein determiniertes Universum, mit nur einer korrekten Zeitlinie, während alle variierenden Linien und Lebewesen ausgelöscht oder verbannt werden. Im Grunde klingt das eigentlich ziemlich blöd, weil alle vorigen und kommenden Filmen damit ihrer restlichen Dramaturgie geraubt sind: Thanos konnte sowieso nie gewinnen, weil die einzig wahre Zeitlinie einen Sieg der Avengers determinierte.
Wiederum beschreibt das ja exakt die Politik von Marvel unter Disney: In unserem Universum gibt es nie wahre Konsequenzen; die Guten gewinnen, die Bösen verlieren, alles ist vorherbestimmt und muss in den großen Kevin-Feige-Masterplan passen. Es gibt keine Ausreißer, keine allzu großen Veränderungen.
Die TVA ist im Prinzip wie der Marvel/Disney-Konzern. Loki durchbricht sozusagen die vierte Wand und landet vor dem Schreibtisch von Bob Iger. Jedes Wesen verliert hier seine Kräfte, selbst die einst mächtigen Infinity Steine sind nur noch nutzlose Buchbeschwerer. Dieser bürokratische Apparat, die ganze Maschinerie dahinter ist dabei so zutreffend umgesetzt, als würde Loki vor seinen eigenen Schöpfer treten: „Alles hat seinem vorherbestimmten Pfad zu folgen. Wer abweicht, wird ausgelöscht.“
Auch das Ende fügt sich passend ein, wenn Loki endlich auf die Autorität hinter der Autorität trifft. Es wird ihm keine Lösung angeboten. Entweder übernimmt er den ganzen Laden oder Chaos bricht aus (was letztendlich zu noch mehr zukünftigen Material, Varianten, Figuren, Filmen und Serie führt).
Fazit: „Loki“ ist verrückt, seltsam und wieder etwas Neues und das mag ich an der Serie und dem bisherigen Auftritt dieser drei Disney+-Serien. Dieses Mystery-Konzept und Prinzip hinter dem Spannungsbogen erinnert etwas zu stark an „WandaVision“, aber mit Witz und Ideenreichtum kann „Loki“ auf seine eigene Art glänzen.
Dabei ist die Handlung weniger greifbar. Inszenatorisch und erzählerisch ist das Gesamtpaket mehr als solide und die Serie dürfte vor allem für das zukünftige MCU deutlich entscheidender sein, als die beiden ausgebreiteten Origin-Geschichten von Wanda und Falcon.
Letztlich fehlt der Serie jedoch der runde Abschluss, Loki wird als Figur zu wenig hinzugefügt, als dass er tatsächlich als Vehikel dieser Geschichte nachvollziehbar eingebaut ist und die Serie ruht sich zu sehr auf dem Mystery-Konzept und den minutenlangen Expositionen aus, die zwar das MCU voranbringen, aber weniger die Charaktere der Serie.
6.5 von 10.0
Die Kritik im Original auf Moviepilot