James Cameron möchte mit dem Avatar-Franchise sein eigenes Star Wars erschaffen, aber mit „The Way of Water“ hat er „The Force Awakens“ statt „Empire Strikes Back“ gedreht – so deutlich muss man es formulieren. Und das muss sich ausgerechnet der Fortsetzungsmeister James Cameron vorwerfen lassen. Mit diesem Sequel hätte er alles machen können. Aber er spielt es auf Nummer Sicher.
Eywa ist die Macht im „Avatar“-Universum (bzw. das Bewusstsein von Pandora, womit Cameron eindeutig auf die Gaia-Hypothese anspielt); Figur Kiri ist die Auserwählte, welche auf unerklärliche Weise zur Welt kam („Es gab keinen Vater“); Bösewicht Quaritch wird zur Darth-Vader-Figur ausgebaut, die nun langsam einen Wandel zur „hellen Seite“ vollzieht, unterstützt durch die Einführung seines Sohnes, der ihn emotional bindet (sogar mit klarer Empire-Referenz am Schluss, als ihm Spider nach der Rettung die Hand ausschlägt: „Komm Sohn, verschwinden wir von hier“); die RDA bzw. mittlerweile die gesamte Menschheit verkörpern das bösartige Imperium, während die Na’vi die Rebellion darstellen, welche sich nun auch offensichtlich als Guerilla-Einheit verstehen und aus dem Versteck heraus Angriffe planen.
Hier werden u. a. mit einem Zugüberfall zu Beginn Parallelen zum Vietnam-Krieg gezogen, aber auch Assoziationen zum klassischen Western geweckt. Als Jake Sully und seine Familie nach dem ersten Akt zu den Völkern des Meeres fliehen, sind außerdem starke Gemeinsamkeiten zu „The Phantom Menace“ zu beobachten, als ihnen die Anführer Tonowari und Ronal nur widerwillig Unterschlupf gewähren, mit der Auffassung, dass dies nicht ihr Krieg sei. Im Zusammenhang mit der zu Beginn betonten ethnischen Unterscheidung der beiden Na’vi Völker und der anschließenden Verbrüderung im Kampf gegen die RDA, lässt sehr starke Parallelen zu den Naboo und Gungans erkennen, die sich gegen die unmittelbare Bedrohung vereinen.
„The Way of Water“ scheitert direkt zu Beginn daran, der Genialität von Star Wars gleichzukommen, weil James Cameron dem Zuschauer nicht vertraut. Er vertraut uns nicht, dass wir die Figuren kennen, dass wir Pandora kennen, oder gar den ersten Film in Erinnerung haben. Nach 13 langen Jahren sieht er sich genötigt, die Gefühlswelt rekonstruieren zu müssen, indem der Film mit wahllosen Momentaufnahmen von Pandora, unterstützt durch vertraute Musikuntermalung, einsteigt.
Anschließend wird im Zeitraffer der Status Quo des ersten Teils wiederhergestellt und alle neuen Familienmitglieder der Sullys einzeln vorgestellt. Es ist wie ein zehnminütiger Prolog, der so auch auf YouTube veröffentlicht oder als Textblock auf der DVD-Rückseite hätte stehen können. Es ist James Camerons missglückter Opening Crawl jedes Star-Wars-Films, der nicht kurz und auf den Punkt, sondern in ausufernder Erklärungsnot und Expositionslaune zwanghaft die vergangene Zeit überbrücken möchte, um den Zuschauer bloß nicht zu überfordern oder sinngemäß ins kalte Wasser zu werfen.
Und genau das ist eine der Kernkompetenzen von George Lucas‘ Star Wars. Jeder neue Film wirft den Zuschauer direkt in die Action, ohne die letzten Jahre aufwendig überbrücken und erklären zu müssen. Niemanden interessiert es oder muss es sehen, wie Jake Sullys Kinder zur Welt gekommen und aufgewachsen sind. Hat uns Star Wars gezeigt, wie Luke Skywalker in seinen 19 Jahren aufgewachsen ist? Hat „Attack of the Clones“ mit einer dreiminütigen Trainingsmontage begonnen, um Anakins Werdegang als angehender Jedi-Ritter zu erklären? Niemanden interessiert es, wie lange die Na’vi in Frieden gelebt haben und unter welchen Umständen die Menschen zurückgekehrt sind. Hat „Empire Strikes Back“ erklärt, wie das Imperium zurückgekehrt ist?
Nein, der Film steigt einfach gnadenlos mit einem Großangriff auf die Rebellenbasis ein und mit einem Fingerschnips ist alles erklärt, was erklärt werden musste. Die Ironie ist, dass „The Way of Water“ den perfekten Zeitpunkt besitzt, an dem der Film hätte beginnen können: nach der Schwarzblende „1 Jahr später“. Nichts von alledem, das in den ersten zehn Minuten davor geschieht, benötigt dieser Film. Nichts. Die Menschheit ist zurück. Punkt. Die Na’vi führen einen Guerilla-Krieg. Punkt. Jake Sully hat mittlerweile zwei Söhne. Punkt. All das funktioniert für sich stehend sehr organisch und nachvollziehbar.
Der Beginn nach der Schwarzblende ist direkt gut erzählt. Es beginnt mit dem Wiedererwachen des Bösewichts Quaritch, was inszenatorisch eine gelungene Parallele zu Jake Sullys Erwachen auf dem Raumschiff aus Teil 1 darstellt. Ohnehin spiegelt Quaritchs Werdegang in der ersten Hälfte des Films sehr bewusst den von Sully aus Teil 1. Er wird, wie er, zu einem Na’vi. Er lernt, wie er, die Gebräuche und Fähigkeiten des Volkes kennen. Vielleicht hätte man hier sogar noch mutiger sein und den Film viel stärker aus seiner Sicht erzählen können. Denn ab der zweiten Hälfte geht die Parallelhandlung leider verloren und Quaritch wird zum 0815-Western-Antagonisten der Woche degradiert, der wie in einer Billigversion jeder mittelmäßigen Western-Fortsetzung einen einfältigen Rachefeldzug gegen Jake Sully vollführt. Selbst Karl May wäre dieser Plot zu blöd gewesen.
Obendrein verschießt „The Way of Water“ jedes Potenzial und Feuer, welches die eigentlich spannend konzipierte Geschichte besaß. Man kann von „The Force Awakens“ halten, was man möchte, aber abgesehen von dem billigen Nostalgietrip, wusste J.J. Abrams, wie man die Grundlage für potenziell spannende Fortsetzungen schafft. Mit den sogenannten „Mystery Boxen“ mag er es übertrieben haben, aber jeder hatte Bock auf das, was folgen sollte. Jeder.
Aber James Cameron fällt einfach mit jedem halbwegs interessanten Plotpunkt mit der Tür ins Haus: Kiri ist insgesamt eine der interessantesten Figuren des Films, aber warum hebt man sich von ihrer Hintergrundgeschichte nicht mehr für später auf? Warum wird gleich zu Beginn klargestellt, dass es sich bei ihr um die Auserwählten-Figur handelt? Ein paar Fragen bleiben zwar noch zu klären, aber mit dem Anfang wird im Grunde alles abgeräumt, was man über diese Figur wissen muss. Ähnlich verhält es sich mit der Beziehung zwischen Quaritch und Spider, Vater und Sohn. Ich erwarte nicht, dass man hier einen vergleichbaren „Ich bin dein Vater!“-Moment aufbaut, aber warum wird das alles so unfassbar lahm und uninteressant erzählt und ausgespielt? Es ist nahezu beiläufig.
Wie viel spannender hätte man es inszenieren können, wenn beispielsweise Quaritch den Großteil des Films gar nicht gewusst hätte, dass Spider sein Sohn ist. Das hätte auch Sinn ergeben, schließlich wurde er als Baby zurückgelassen; vielleicht hätte er gar nicht gewusst, dass er überhaupt einen Sohn gezeugt hat. Dass es Spider weiß, ist hingegen logisch, schließlich gab es genügend Personen in seinem Umfeld, die das wahrscheinlich wussten und ihm früher oder später gesagt hätten. Die Dramaturgie hätte dann am Ende eine ganz andere sein können. Anstatt dass jeder Zuschauer im Kinosaal die Augen verdreht, als Spider sich entscheidet, den ertrinkenden Quaritch zu retten, wäre es umgekehrt ein passabler Twist gewesen, wenn Antagonist und Zuschauer erst danach erfahren hätten, warum er das gemacht hat.
Das, was „The Way of Water“ und „The Force Awakens“ eint, ist die Tatsache, wie sehr die Filme eine dramaturgische und inhaltliche Kopie und damit auch ein bewusster Nostalgietrip im Zusammenhang mit dem jeweiligen ersten Teil des Franchises sind. Teile des ersten und letzten Aktes sind dabei noch mit Abzügen außen vorzulassen, da zu Beginn alles mit Quaritch sowie dem Guerilla-Krieg und der damit einhergehenden Western/Vietnam-Atmosphäre halbwegs gut funktioniert. Zudem bietet das Finale ein wenig Abwechslung und fokussiert ähnlich zu „Empire Stikes Back“ auf eine persönlichere Auseinandersetzung und weniger den großen Bombast.
Alles dazwischen und insbesondere im Mittelteil ist hingegen eine einzige Spieglung des ersten Films. Und das nicht auf die gute Art. Im Sinne von George Lucas‘ Star Wars könnte man jetzt denken, dass das eben alles in die Kategorie „It’s like poetry, they rhyme“ fällt. Aber nach dieser Logik müsste man J.J. Abrams Umgang mit Star Wars ja als Meisterleistung betrachten, schließlich kopiert er jede einzelne Szene aus der Original Trilogie. Aber so funktioniert es nicht. Generell wissen die meisten nicht, wie es funktioniert, weswegen der Satz von Lucas häufig als belustigendes Meme abgestempelt wird.
Wiederkehrende, sich spiegelnde Motive, Handlungen, Charakterbögen, Sätze und Bildelemente bekommen erst dadurch eine Bedeutung, wenn sie ein Thema hervorheben oder ergründen. Oder wenn es den Szenen, die gespiegelt werden, eine neue Bedeutungsebene verleihen und umgekehrt. Deswegen ist es nicht nur ein Zufall, ein Witz oder Faulheit, dass Anakin und Luke Skywalker einen sehr ähnlichen Werdegang haben, sondern es eröffnet eine bewusste bildsprachliche Ebene, die beide Erzählungen verstärkt und in Momenten eine tiefere Bedeutung verleiht.
Deswegen handelt es sich bei Quaritchs Charakterbogen im ersten Teil des Films um eine gute Spieglung, bzw. einen guten Reim. Denn durch das Wissen des Zuschauers, dass Sully einst eine sehr ähnliche Reise durchlebt hat, wird das Motiv verstärkt, dass der geglaubte Antagonist langsam zur „guten Seite“ bekehrt werden wird. Keine Aussage bzw. kein guter Reim verbergen sich hinter sinnlos kopierten Monologen, bspw. wenn Quaritch vor seiner Einheit mit den wiederkehrenden Worten beginnt „Sie sind nicht in Kansas, sie sind auf Pandora.“ Der Film möchte uns damit an Teil 1 erinnern, aber es beinhaltet weder Bedeutung noch Sinn. Im ersten Film wählt er diese Worte, weil Quaritch als Sicherheitsbeauftragter alle Neuankömmlinge mit diesen Worten einweist. In der Fortsetzung hingegen steht der wiedergeborene Quaritch vor seinen eigenen Leuten, die bereits selbst auf Pandora waren und wie er durch ein Back-up wiedergeboren wurde. Ein völlig unnötiger Satz also. Dieses Muster zieht sich an mehreren Stellen durch den Film.
Spätestens ab dem zweiten Akt jedoch, der Ankunft beim Wasserstamm, verfällt James Cameron darin, die Geschichte seines ersten Films plump nachzuerzählen. All das, was vorher im Wald stattfand, findet nun auf und im Meer statt. Jake Sully und seine Kinder sind nun alle wieder buchstäblich Kinder, denn alles, was er und sie zuvor erlernt haben, ist auf null zurückgesetzt. Sie lernen neue Reittiere kenn, wie Jake einst gelernt hat auf einem Pferd und Ikran zu reiten; sie bestaunen die Wunder und Schönheit der Unterwasserwelt, wie Jake einst die Schönheit des Waldes bestaunt hat; sein Sohn Lo’ak verliebt sich in die Tochter des Häuptlings und verwickelt sich gleichzeitig in eine Fehde mit dem Sohn des Häuptlings (der von seinem Vater dazu erwählt wird, die Kinder Sullys zu unterrichten und in dem Moment genauso wütend ist, wie einst Neytiri, als sie zur Lehrerin von Sully ausgewählt wurde); Lo’ak wird schließlich auch in die Verfolgungsjagd mit einem Raubtier verwickelt, wie einst sein Vater Jake; die Kinder besichtigen die heiligste Stätte der Wasser-Na’vi, was im Grunde einfach ein Seelenbaum im Wasser ist. Die Wale stehen zudem als Äquivalent zu den Bäumen bzw. dem Heimatbaum der Na’vi aus Teil 1.
Das große Walfänger-Schiff der Menschen, was von Quaritch als Militärfahrzeug und Operationsbasis beschlagnahmt wird, ist das Äquivalent zum großen Helicarrier aus Teil 1, welcher letztlich zur Zerstörung des Heimatbaumes oder eben zur Tötung des einen Muttertiers genutzt wird. Dramaturgisch wird dies auf exakt dieselbe Weise inszeniert, endend mit dem bekannten Musikstück von James Horner aus Teil 1. Es ist der Wendepunkt des Films, der die Na’vi des Meeres schließlich in den Kampf zwingt. Ebenfalls auf selbe Art inszeniert, als Jake Sully wie in Teil 1 in der Mitte des Stammes steht und zur Ruhe mahnt, darauf hinweist, dass dies erst der Anfang ist und man sich mit den Himmelsmenschen nicht anlegen sollte.
Einzig neu ist hier die Beziehung zwischen Lo’ak und einem verstoßenen Wal-Bullen, der jedoch letztlich auch nur als Synonym für die sich wehrende Eywa steht, welche sich am Ende des Films dafür entscheidet Partei zu ergreifen und gegen die Menschen zu kämpfen. Auch hier ist es so, dass die Eskalation erst durch den Angriff des Tieres, wie vorher durch den Angriff der Waldbewohner, zugunsten der Na’vi gedreht und praktisch entschieden wird. Sowie „The Way of Water“ mit der Herstellung des Status Quo beginnt, so endet der Film auch mit der Erkenntnis, die schon Teil 1 innehatte.
Denn das zentrale Thema von Jake Sully ist es zunächst, dass er seine Familie dadurch schützen möchte, indem er vor Quaritch und der RDA flieht. Er möchte sich verstecken und nicht kämpfen. Das Finale im ersten Film hat auf ähnliche dramaturgische Weise funktioniert, indem Eywa als neutrale Gestalt interpretiert wurde, die sich jedoch am Ende dem Kampf der Na’vi anschließt. Genauso kommt Jake Sully am Ende wieder zur Einsicht, dass der Kampf gegen die Menschen der richtige Weg ist. Im Grunde sind das allerdings auch alles Entwicklungspunkte, an denen sich Sully schon mindestens zweimal befand, in Teil 1 und zu Beginn von Teil 2 im Guerilla-Kampf.
Diese ganzen nichtssagenden Spiegelungen und Copy-Paste-Momente verstreuen sich über den gesamten Film hinweg. Statt dem Edelmetall Unobtanium ist es auf einmal ein seltenes Sekret aus dem Gehirn der Wale, welches den finanziellen Anreiz der RDA darstellt. Statt 20 Millionen Dollar pro Stück sind es nun 80 Millionen Dollar pro Stück wert. Wie die Menschen nach nur einem Jahr darauf gekommen sind, dass dieses Sekret existiert und ganz viel wert ist, bleibt allerdings schleierhaft. Warum dieser finanzielle Anreiz gar notwendig ist, ebenso, schließlich kolonisiert die RDA den Planeten nicht mehr aus Profitgier, sondern um das Überleben der Menschheit zu sichern, wie der Film selbst ausdrücklich sagt.
Auf dem Walfänger-Schiff existiert dann auch noch gleich ein intelligenter Meeresbiologe, der seinem Gesichtsausdruck nach dem ganzen Unternehmen sehr skeptisch gegenübersteht, währenddessen schlaue Sprüche klopft und dadurch im Grunde ein Grace-Augustine-Verschnitt ist. Der Kapitän des Schiffs ist hingegen die Kopie des gierigen Konzernchefs Parker aus Teil 1, der einfach schlicht unsympathisch gezeichnet wird und dann gegen Ende seinen verdienten Tod erfährt. Schließlich besitzt die RDA nach Quaritchs Ableben eine neue militärische Anführerin, die genauso hart wie einst Quaritch ist, ihn sogar beim Boxtraining empfängt, so wie Quaritch einst Sully beim Gewichte heben empfangen hat. Man könnte weitere Beispiele aufzählen, denn „The Way of Water“ bietet im Minutentakt eine kopierte Idee und einen dramaturgisch identischen Moment nach dem anderen. Verfestigt wird dies auch im Soundtrack, der zu gefühlt 90 Prozent aus denselben Stücken besteht, die einst James Horner komponiert hat und die nun bei jeder vergleichbaren Szene aus Teil 1 erneut eingesetzt werden.
Das Wiederkäuen bekannter Stationen und handlungsrelevanter Momente führt schließlich auch dazu, dass „The Way of Water“ grundlegend nichts Neues über den Konflikt auf und um Pandora erzählt. Die Na’vi und Menschen stehen sich nach wie vor unter exakt gleichen Prämissen gegenüber. Die Menschen sind die moralisch Bösen, die Na’vi die moralisch Guten. Ganz viel Naturesoterik bildet den emotionalen Anker des Films und statt eines Urwaldes sind es dieses Mal die Meere. Nur fügt James Cameron keine neuen Ebenen und Konflikte hinzu (die angedeutete Entwicklung von Quaritch mal ausgenommen), genau das, was eine gute Fortsetzung machen sollte.
Und selbst die mit dem Holzhammer betriebene Naturverbundenheit fühlt sich immer mehr wie eine billige Karikatur des ersten Films an, bei der man sich als Zuschauer nur noch schlecht fühlt, da gar keine gemeinsame Grundlage mehr geschaffen wird, die für einen selbst nachvollziehbar und umsetzbar sind. Darf ich noch Fisch essen oder muss ich mich dann zweifelsohne mit dem bösen Imperium, der RDA, identifizieren? So dämliche Fragen wirft James Cameron im Grunde auf, da sein Film jedweden Eingriff in die Natur als Kapitalverbrechen wertet. Die Menschen sind die Bösen, aber abgesehen von der Tötung eines Wales und der Erschießung eines Reittieres durch Quaritch fragt man sich manchmal „Warum eigentlich?“ Da habe ich schon schlimmere Feindfraktionen gesehen, die z. B. die ganze Heimat eines Volkes wegbomben (siehe Teil 1) oder Massenvernichtungswaffen gegen Minderheiten einsetzen (siehe Star Wars).
Den Walfang hier als Äquivalent für die Naturzerstörung durch den Menschen einzusetzen, ist auch deshalb seltsam, da ausgerechnet das schon seit Jahrzehnten international verboten ist. Natürlich findet es immer noch durch einige Länder wie Japan und Norwegen statt, aber es handelt sich nun bei weitem nicht um ein gravierendes ungelöstes Menschheitsproblem. Wenn man nur kurz recherchiert, stellt man gar fest, dass Walfang zur Tradition und Lebensgrundlage vieler indigener Völker im Polargebiet oder nordamerikanischer Indianerstämme gehört. Also die Vorlage für die Na’vi, nämlich indigene Naturvölker, sitzen gar nicht im Kreis mit Walen und singen, sondern haben sie seit Jahrhunderten schon immer als Nahrungsquelle angesehen. Ironisch.
Generell findet James Cameron nie über den Aspekt der Naturverbundenheit hinaus, um die Na’vi als den Menschen moralisch überlegen zu charakterisieren. Die Na’vi sind derart im Einklang mit ihrer Umwelt, dass dies sogar die Technologie der Menschen obsolet macht. Aber darüber hinaus fragt sich der Film nie, wie eigentlich eine optimale Gesellschaft aussehen könnte. Wenn man einmal genau auf die Na’vi blickt, dann wirken die nämlich moralisch gar nicht so überlegen.
Zunächst unterteilen sich die Na’vi selbstständig sehr stark in verschiedenen ethnische Völker. Jedem Volk und jedem einzelnen Na’vi ist sein Platz zugeordnet. Jake Sully, Neytiri und seine Kinder sind Wald-Na’vi und gehören deswegen bitteschön auch in den Wald. Die Metkayina hingegen sind ein Meeresvolk und gehören deswegen auch allein ans Wasser. Es herrscht sehr große Skepsis, als Sully und seine Familie vor den Metkayina auftreten, nicht so sehr, weil sie möglicherweise den Krieg mitbringen, sondern weil sie aus ethnischen Gründen, man könnte auch rassistisch sagen, nicht hier hingehören. Obendrein haben manche von Sullys Kindern gar fünf Finger, was sie zu einem Halbblut macht und es dadurch noch unmöglicher erscheint, ihnen Unterschlupf zu gewähren. Dass Sully Toruk Makto ist und einst die gesamte Menschheit von Pandora geschubst hat und dadurch auch das Überleben der Metkayina gesichert hat, ist zweitrangig. Hauptsache, die Rassenfrage wird erstmal geklärt.
Weiter geht’s, wenn man mal einen Blick auf die Gesellschaftsstruktur der Na’vi wirft. Zumindest Männer und Frauen scheinen halbwegs gleichberechtigt zu sein, immerhin entscheidet der Häuptling Tonowari nicht allein, sondern wartet erst auf die Zustimmung seiner Frau. Außerdem sind Frauen gleichberechtigte Partner bspw. bei der Jagd oder auch im Kampf, wie bereits Teil 1, aber auch „The Way of Water“ zeigen.
Aber wer regiert eigentlich? Das sind letztlich Tonowari und seine Frau Ronal. Die Stämme der Na’vi sind nicht demokratisch geordnet. Es gibt keinen Rechtsstaat, keine Gesetze, keine demokratische Ordnung. Hier sind die Na’vi den Menschen eben nicht moralisch überlegen, sondern gar rückständig. James Cameron orientiert sich hier natürlich an bekannten Strukturen indigener Stämme. Wenn das jedoch alles so heilig und richtig ist, was die Na’vi betreiben, dann fragt man sich, warum sich das nicht auch in anderen Aspekten des naturverbundenen Lebens widerspiegelt.
George Lucas macht das in Star Wars deutlich cleverer, indem er die Guten und Bösen auch politisch und gesellschaftsstrukturell unterscheidet. Die Gungans mögen den Naboo und vielen anderen Lebensformen unterlegen erscheinen. Aber wenn man genau hinschaut, als Qui-Gon Jinn und Obi-Wan Kenobi vor Boss Nass treten, dann erkennt man, dass dort viele Gungans nebeneinander in einem Halbkreis sitzen, fast wie der Jedi-Orden. Sie verfügen über einen eigenen hohen Rat, der zumindest dem Anschein nach demokratisch entscheidet und nicht autoritär wie die Handelsföderation.
Emotional besonders flach fällt „The Way of Water“ am Ende aus, als James Cameron versucht, mit dem Tod des ältesten Sohnes irgendeine emotionale Reaktion zu erzwingen. Neteyams Tod ist so flach, wie er auf Nummer Sicher gespielt ist. Das Kind von Sully, welches bis auf Tuk am wenigstens von der Handlung beachtet und entwickelt wurde, stirbt den „tragischen“ Tod. James Cameron lästert über Comicverfilmungen, die ja alle keine Konsequenzen und „Stakes“ hätten, aber nimmt sich dann den bequemsten und komfortabelsten aller Figurentode heraus. Dabei hätte dieses Ende tatsächlich funktionieren können, wenn Neteyam genauso viel Platz wie seinem Bruder Lo’ak eingeräumt worden wäre. Denn das Ende mit Jake und Neytiris Erinnerung durch Eywa an ihren Sohn funktioniert grundlegend, nur eben nicht an dieser Stelle, zu diesem Zeitpunkt. Da sowieso noch drei weitere Avatar-Filme folgen, hätte man sich den wichtigen Figurentod auch für später aufheben können. Und es hätte geholfen, wenn man Neytiri mehr Zeit und eine glaubhaftere Beziehung zu ihren Kindern spendiert hätte. Denn anders als Jake Sully kauft man ihr leider zu keinem Zeitpunkt ab, dass es sich um ihre geliebten Kinder handelt.
Fazit: Auch nach der Zweitsichtung sechs Monate später eine Enttäuschung. Im Heimkino fallen nun auch noch das 3D, die Bildgewalt und die erhöhte Framerate weg. Was bleibt, das, was letztlich immer bleibt, ist die Story. Und die ist leider äußerst dürftig. Inhaltlich dürfte das James Camerons schlechtester Film sein. Die Hoffnung bleibt, dass es mit Avatar 3 wieder bergauf geht.
6.0 von 10.0
Die Analyse im Original auf Moviepilot