Napoleon (2023) – Kritik und Review

Napoleon© Apple TV

Nach langer Zeit kehrt Ridley Scott zu den großen Historienepen zurück. Auf „Napoleon“ habe ich mich deswegen schon seit der Ankündigung gefreut. Denn wie man den Regisseur kennt, gehört er zu den wenigen, die das Talent für derart große Spektakel haben. Napoleon ist zudem eine unglaublich interessante wie spannende Persönlichkeit, dessen Leben in verschiedener Art und Weise ganz Europa nachhaltig geprägt hat.

Im Vorfeld kündigte Ridley Scott bereits an, dass es neben der Kinoversion auch eine um die vier Stunden umfangreiche Langfassung geben wird. Veröffentlicht wird die aller Voraussicht nach auf dem Streamingdienst des Budgetgebers Apple und hoffentlich auch auf physischer Disk. Dem nun veröffentlichen Kinofilm merkt man nämlich an, dass er allerlei Raum für Ergänzung und Erweiterung bietet.

Scotts Kinoversion ist schon mal eine gute Ausgangslage dafür, denn auch auf seine alten Tage hat es der Kultregisseur nicht verlernt, beeindruckende Schlachtsequenzen sowie große, reichlich ausgestattete Schauplätze zu inszenieren. Nur tritt beim Versuch, Napoleons Leben in knapp zweieinhalb Stunden zu erzählen, der zu erwartende Nachteil auf, dass sein Wirken und Handeln zeitweise gehetzt, abrupt und stark gekürzt erzählt wird.

Viele spannende Stationen in Napoleons Leben müssen ausgelassen werden. Das ist so einleuchtend, wie auch schade. Daher kommt man beim Bestaunen der aufwendigen Bilder nicht darum herum, den Eindruck zu erhalten, man bekommt einen schön strukturierten Wikipedia-Eintrag präsentiert. Denn viele Überraschungen oder dramaturgisch interessante Wendungen beinhaltet der Film durch die strikt chronologische Erzählung nicht.

So fällt u. a. der Italienfeldzug weg, die Eroberung Europas wird auf die Schlacht bei Austerlitz reduziert und Napoleons Versagen wird einzig durch den fehlgeschlagenen Russlandfeldzug dargestellt. Historische Ungenauigkeiten sind derweil ebenfalls zuhauf vorzufinden, wenn auch bis auf einige Details nicht sonderlich tragisch. Zum einen ist das Scott-typisch und aufgrund des Mediums normal, zum anderen mündet dies ab und zu in amüsante Sequenzen, mit z. B. der Beschießung der ägyptischen Pyramiden. Einzig die Tatsache, dass der Film sogar die Geburtsdaten von Josephine und Napoleon verändert, stört dann doch auf unnötige Weise.

Die sehr gemischten, bisweilen überraschend negativen Kritiken lassen sich vermutlich damit begründen, dass „Napoleon“ nicht die Art Historienepos ist, die man anhand des Titels erwartet hat. Zwar gibt es genügend Schlachten und Actionsequenzen zu bestaunen, die Scott mal wieder meisterhaft zu inszenieren weiß. Aber es ist nicht das Porträt eines genialen Strategen oder vehementen Reformer Europas, wie man es von Napoleon Bonaparte erwarten würde.

Stattdessen wäre „Napoleon & Josephine“ der passendere Titel, denn Ridley Scott konzentriert sich in seinem Film mehr auf die innige Beziehung sowie das toxische Verhältnis der beiden Liebhaber. Dafür muss man in Kauf nehmen, dass Napoleons politische Ambitionen und sein Schaffen in und für Europa hintenüberfällt. Diese Seite des Kaisers klammert der Film so gut wie es geht aus, was nicht immer ohne aufkommende Probleme gelingt.

Denn Napoleons Rolle in Europa kann man nicht so leicht ignorieren. Dafür hing seine Beziehung mit Josephine und seine Ziele für Europa zu eng zusammen. So wird einerseits der Fokus erfolgreich (zuungunsten historischer Genauigkeit) verschoben, indem u. a. die Sorge um Josephine die frühzeitige Abreise Napoleons aus Ägypten bedingt. Nur wirkt dadurch andererseits Napoleons Aufstieg zum ersten Konsul und Kaiser Frankreichs vergleichsweise glücklich und zufällig, während er sich Europa einzig aus der Motivation heraus nimmt, Frankreich zu verteidigen. Er kümmert sich während seinen langen Feldzügen in Briefen einzig um Josephine, was als Motiv für den Film funktioniert, aber eben auch alle anderen Seiten Napoleons außen vor lässt.

Genau auf diese Ausrichtung bezogen spielt Joaquin Phoenix – der für diese Rolle zwanzig Jahre zu alt ist, was jedoch aus historischer Sicht am wenigsten stört. Man denkt bei Phoenix Spiel zu keinem Zeitpunkt an einen genialen Feldherrn oder einen politischen Visionär, der mit Europa Großes vorhat. Dafür ist Phoenix zu unbeholfen, spielt eher den etwas trotteligen und lüsternen Ehemann von Josephine. Das ist, wenn man es einmal akzeptiert hat, aber nicht weiter schlimm, da die Liebe und der Schmerz, entstehend aus diesem Verhältnis, hervorgebracht wird und darum scheint es „Napoleon“ zu gehen.

Nur beißt sich das ab und zu mit der Dramaturgie des Films, da man aufgrund der opulent inszenierten Schlachten nicht immer sicher ist, ob mit Napoleon mitzufiebern ist oder nicht. Dafür ist seine politische Charakterisierung viel zu schleierhaft. Im letzten Gefecht bei Waterloo fühlte ich angesichts der unsympathischen Darstellung vom Herzog von Wellington eher mitleidig mit Napoleon mit, als ihm kein glorreiches Ende vergönnt war.

War dies nun gewollt oder nicht? Ist Napoleon als Held oder doch als Tyrann zu bewerten? Zu so einem Urteil lässt sich Ridley Scotts Film nicht mal im Ansatz hinreißen, da die machtpolitischen Aspekte dafür deutlich zu kurz kommen. Nur kommt man, als Zuschauer nicht darum herum, dem traurig dreinschauenden Phoenix seine Sympathien auszusprechen.  

Napoleon© Apple TV

Fazit: „Napoleon“ ist ein weiteres großes Historienepos von Ridley Scott, welches mit seiner tollen Ausstattung und den großen Schlachtsequenzen begeistert. Gleichzeitig bietet der Film einen anderen Blickwinkel auf das Leben des Kaisers, welcher sich auf die Beziehung zwischen Napoleon und Josephine konzentriert. Ein politisches Machtspiel auf Europas Bühne des frühen 19. Jahrhunderts darf hier nicht erwartet werden.

7.0 von 10.0

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