Wie George Lucas und Christopher Nolan Sound nutzen

Lucas und Nolan im Gespräch© YouTube
Lucas und Nolan im Gespräch

Was haben diese beiden Regisseure gemeinsam? Auf den ersten Blick nicht besonders viel. Mit einem zweiten Blick zeigt sich jedoch, dass Nolan und Lucas eine sehr ähnliche Philosophie beim Einsatz von Ton und Bild in ihren Filmen verfolgen.

Ein weiteres Wort zu „Tenet“! Da dieses Jahr vermutlich kein großer, nennenswerter Film mehr in den Kinos erscheint, kann auch nochmal über den kurzfristigen Versuch der Wiederbelebung dessen geschrieben werden. Ich bin selbst kein großer Fan von Christopher Nolans neustem Streifen. Eigentlich habe ich sogar kein bisschen mehr über „Tenet“ nachgedacht, nachdem ich den Film durch meine und andere Kritiken verarbeitet hatte. Aber ein Aspekt blieb dann doch an mir haften…

In den USA wurden mit dem Kinostart vermehrt Beschwerden laut, dass die Dialoge im Film teilweise kaum zu verstehen seien. Hierzulande fiel dieses Problem aufgrund der Synchronisation unter den Tisch, obgleich zumindest Lautstärke-Probleme in dem einen oder anderen Saal vernommen wurden. Ist „Tenet“ zu laut? Hat der Film ernsthafte Abmischungsprobleme? Unterstellt wird Nolan dies seit mindestens „Interstellar“. MoviepilotDigitalspy und Cinemablend haben u.a. darüber berichtet.

Aber einen Schritt zurück. Wieso sollte mich das interessieren? In meinem Kino war „Tenet“ weder zu laut, noch habe ich Probleme mit dem Verständnis der Dialoge gehabt. Erst vor einigen Monaten bin ich allerdings auf ein Gespräch  zwischen Christopher Nolan und Star-Wars-Creator George Lucas gestoßen. Ich habe mir dieses Gespräch sehr interessiert angehört, da es vor allem um Lucas‘ Werdegang und die Entstehung von „Star Wars“ ging. Und dennoch dachte ich mir anschließend: wie ironisch. Da sitzen scheinbar zwei Filmemacher beisammen, die kaum eine unterschiedlichere Herangehensweise ans Filmemachen haben könnten, nicht wahr?

Auf der einen Seite der Multimilliardär und Spektakelkünstler George Lucas; auf der anderen Seite der geerdete Christopher Nolan, der dem Publikum mit seinen „Mindfuck“-Filmen Jahr für Jahr einen Hauch Anspruch in der Blockbustersaison unterjubelt. Beides sind eigenwillige Regisseure, die mit sehr viel Budget haushalten, aber doch scheint sie der unterschiedliche Ansatz aus digitaler Märchen-Science-Fiction und möglichst realem Dramen- und Actionkino (sowohl von erzählerischer, als auch von technischer Seite) sehr weit voneinander zu entfernen.

Nach einiger Zeit fühlte ich mich schließlich wieder an dieses Video erinnert. Bei alldem Aufruhr um „Tenet‘s“ Soundabmischung stolpere ich plötzlich über diese Aussage  von Christopher Nolan:

“There are particular moments in [“Interstellar”] where I decided to use dialogue as a sound effect, so sometimes it’s mixed slightly underneath the other sound effects or in the other sound effects to emphasize how loud the surrounding noise is,” Nolan said in 2014 in response to the “Interstellar” sound complaints, proving to his fans that the divisive sound mix was purposeful and not some audio mistake. 

Wie zu erkennen, stammt diese Aussage bereits aus dem Jahr 2014, als sich ebenfalls Leute über den Sound des Films beklagt haben. Aber was ist daran jetzt besonders? Nun, all das hängt natürlich mit George Lucas zusammen, dessen Schaffensprozess von „Star Wars“ und Verständnis von Kino ich schon seit einigen Jahren verfolge. Bei all den vermeintlichen Differenzen zwischen diesen beiden Künstlern, fällt auf, dass sie einen überaus ähnlichen Ansatz bezüglich des Verhältnisses zwischen Bild und Ton haben. Nolan führt weiter aus:

“I don’t agree with the idea that you can only achieve clarity through dialogue,” Nolan continued. “Clarity of story, clarity of emotions — I try to achieve that in a very layered way using all the different things at my disposal — picture and sound. I’ve always loved films that approach sound in an impressionistic way and that is an unusual approach for a mainstream blockbuster, but I feel it’s the right approach for this experiential film.” 

Christopher Nolan wird für seine Soundabmischung stark kritisiert. Wie könne man nur die Dialoge bei einem Film undeutlich abmischen, bei dem das Verstehen der Handlung essenziell ist? Wenn man die Dialoge nicht versteht, versteht man die Geschichte nicht, wodurch wiederum der Film unverständlich ist, richtig? Vielleicht ist man jedoch mit dieser Annahme auf dem völlig falschen Weg.

George Lucas hat in der Vergangenheit immer wieder darüber gesprochen, wie wichtig die Symbiose aus Musik und Bildern für seine Filme sind. Gerade in Anbetracht der über Jahre hinweg vielfach vorgetragenen Kritik, Lucas könne keine Dialoge schreiben, reagierte er stets gelassen. Für seine Filme sind die Dialoge nämlich überhaupt nicht das Entscheidende. Im Zuge der Veröffentlichung  von „Episode II“ im Jahr 2002 sagte Lucas:

I’ve always been a follower of silent movies. I see film as a visual medium with a musical accompaniment, and dialogue is a raft that goes on with it. I create films that way – very visually – and the dialogue’s not what’s important. I’m one of those people who says, yes, cinema died when they invented sound. The talking-head era of movies is interesting and good, but I’d just like to go to the purer form.The problem is, the theatre aspect of it has sort of taken over, and the institutions that comment on film are very literary. They aren’t cinematic; you don’t have a lot of cinematic people talking about cinema, because visual people don’t use words, they use pictures.

Das Kino ist für Lucas eine eigenständige Kunstform. In den Bildern liegt das Kino, nicht in den Dialogen. Und schon haben Lucas und Nolan etwas gemeinsam: Der eine, der keine Dialoge schreiben kann und der andere, dessen Dialoge man nicht versteht. Es mag für einige ein durchaus widersprüchlicher Ansatz sein. Lucas wurde immer vorgehalten, dass in seinen Filmen gar nicht so viel Tiefergehendes stecken kann, sind die Star-Wars-Filme doch vordergründig an Kinder und Jugendliche gerichtet. Nolan-Kritiker werden wiederum entgegnen, dass sich ein Großteil seiner Filme auf ausufernde Exposition verlässt. Warum dämpft man das Gesagte, wenn erst dadurch die komplizierten Geschichten verständlich werden? Im Buch „The Making of Revenge of the Sith“ führt George Lucas weiter aus:

I’m a strong believer of cinema as cinema—not as a literary medium and not as a musical medium and not as a theatrical medium—but cinema as the moving image… in my films, the dialogue is not where the movie is. My film’s are basically in the graphics. The emotional impact from the music and from juxtaposing one image with the next.

Müssen für „Star Wars“ wirklich die Dialoge glänzen, damit die Handlung sich entfalten kann? Oder ist nicht allein anhand der imposanten Bilder verständlich, worum es geht? Sicherlich nicht für jeden durchschnittlichen Kinobesucher, aber doch auf einer experimentelleren/künstlerischen Ebene. Müssen wir für „Tenet“ wirklich die Dialoge verstehen, um die Handlung nachverfolgen zu können? Oder schätzen wir einen Christopher Nolan womöglich falsch ein? Hat irgendjemand „Tenet“ verstanden, weil er jede Dialogzeile gehört hat? Wohl kaum.

Die Geschichte ist so verworren, sprunghaft und lückenhaft, dass eine logische Auflösung des Ganzen vielleicht gar nicht vom Regisseur erwartet wird. Es geht vielmehr darum die Bilder zu spüren, die Action zu fühlen, die Größe zu genießen – eben Kino als Kino zu verstehen. Denn für großartige Dialoge oder eine vollständig logisch sowie befriedigend durchdachte Handlung geht man lieber ins Theater oder liest einen Krimi-Roman.

Dass „Star Wars“ auch ohne die Dialoge und Soundeffekte funktioniert, beweisen nicht nur Kinder, die trotz komplizierteren Passagen Spaß an den Filmen haben, sondern auch Ausschnitte, bei denen all das entfernt wurde. Hier verschmelzen Filmscore und Bild zu einer einzigartigen Symphonie:

Ob „Tenet“ den Test der Zeit bestehen kann und in einigen Jahren von einer anderen Seite aus betrachtet wird (genauso wie andere Nolan-Werke), bleibt abzuwarten. Nichtsdestotrotz scheint Christopher Nolan hinsichtlich dieser Eigenarten mehr zu experimentieren, als es womöglich den Anschein hat. Nolan und Lucas sind als Regisseure doch nicht so weit voneinander entfernt, als auf den ersten Blick zu vermuten ist. Woher kommt seit „Interstellar“ Nolans Interesse derart unkonventionell mit dem Sound und den Dialogen seiner Filme zu verfahren? Möglicherweise hat er es von George Lucas :

I do not like character-driven drama, I don’t like plots, I’m not into this stuff. Cinema is pure. It’s not photographing a stage play, it’s not photographing a book, it’s pure. It’s his own medium. 

Wie steht Ihr zu diesem Ansatz? Was ist Kino für Euch?

Der Artikel im Original auf Moviepilot

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