The New Mutants

The New Mutants© The Walt Disney Company Germany GmbH

Nach der Wiederbelebung des Kinos durch „Tenet“ folgt der nächste größere Kinostart, der im Vorfeld so einige Fragezeichen aufgeworfen hat. Dieses Mal jedoch nicht bezüglich der Handlung oder der Sogkraft fürs Kino, sondern viel eher hinsichtlich der Produktionsgeschichte. Der erste Trailer zu „The New Mutants“ ist nun fast drei Jahre alt. Nun hat sich Disney erbarmt, dem (vorerst) letzten X-Men Film doch noch seinen verdienten Gnadenstoß im nur halbexistierenden Kinomarkt zu verpassen. Dieser Film war wohl von Anfang an zum Scheitern verurteilt und generiert, wenig überraschend, nun auch zu diesen Krisenzeiten nur ein paar magere Millionen an den Kassen. Ein vorhersehbarer Kino-Flop.

Und doch bin ich in gewisser Hinsicht erleichtert, dieses geplagte Projekt endlich gesehen zu haben. Verschiebungen um Verschiebungen haben diesen Film gequält; als liege ein Fluch auf ihm. Warum dies letztlich so kommen musste, konnte mir bis heute niemand nachvollziehbar erklären (Vulture.com, What Happened to The New Mutants?). Laut Regisseur Josh Boone sei die Übernahme der Fox Studios durch Disney für die ganzen Verschiebungen verantwortlich gewesen.

Der letzte X-Men Film, wohlgemerkt fertige Film, lag sozusagen für mehrere Jahre auf Eis, weil Fox ohnehin Magenschmerzen mit dem Projekt hatte und Disney während und nach der Übernahme in den Jahren 2018 und 2019 auch nicht wusste, was mit diesem experimentellen Horrorfilm anzufangen sei. Mit „Dark Phoenix“ wusste man es anscheinend, ansonsten hätte Disney diesen ebenfalls von Produktionsproblemen geplagten Film nicht Sommer 2019 in die Kinos gebracht.

„The New Mutants“ hatte jedoch Berichten zufolge andere Probleme: Der Film war prinzipiell fertig und benötigte nur noch eine Postproduktion mit einigen völlig normalen Reshoots. Das Studio war sich aber von Beginn an unsicher, hat Josh Boone’s Vision nie richtig unterstützt und die Produktion verlief vor sowie während der Dreharbeiten sehr holprig. „The New Mutants“ wurde nicht danach zum Problem, geschweige denn hat man den gesamten Film neu drehen müssen. All das hätte man nach den etlichen Verschiebungen erwarten können, aber nein, es lag wohl allein an Disney und der Übernahme, die alles verzögern sollte.

Aber wie ist das Endergebnis denn jetzt? Laut Kritiker- und Publikumsreaktionen scheint der Film ein ähnliches „Desaster“ wie sein Vorgänger „Dark Phoenix“ geworden zu sein. Generell scheint sich das Kino-Volk seit „X-Men: Apocalypse“ regelrecht gegen das Franchise verschworen zu haben (mit Ausnahme von „Logan“). „Dark Phoenix“ wurde bereits Wochen vor dem Kinostart als Reinfall abgehakt, als mehrere Insider von massiven Problemen und selten schlechten Testvorführungen berichteten. Letztendlich kam dann zwar ein äußerst magerer sowie durchschnittlicher X-Men Film heraus, aber was daran nun so furchtbar schlecht inszeniert gewesen sein soll, konnte sich mir nicht erschließen (besonders wenn dieselben Leute im gleichen Atemzug jeden MCU-Unsinn loben).

„The New Mutants“ wird ebenso verunglimpft. Die Frage ist nur: warum? Wahrscheinlich werde ich in der Minderheit bleiben, aber ich mag „The New Mutants“. Der letzte X-Men Film der Fox Studios schlägt noch einmal genau die ungewöhnliche Richtung ein, welche die X-Men einst so hervorragend vom Marvel-Konkurrenten abgehoben haben. Die neuen Mutanten verabschieden sich weitestgehend vom Versuch die Kino-Kontrahenten in Bombast und Action nachzueifern, womit man anhand von „Apocalypse“ und „Dark Phoenix“ definitiv gescheitert ist. Stattdessen liegt der Fokus auf einer experimentelleren Genre-Struktur, die dem Franchise mittels eines Horroreinschlages eine neue Note verleiht.

Und bei all den genannten Umständen, merkt man dem Endergebnis kaum größere Mängel an. Im Gegenteil: „The New Mutants“ ist ein überraschend tonal sowie erzählerisch konsistentes Werk geworden. In Retroperspektive bleibt es natürlich schwer zu sagen, ob die nicht mehr zustande gekommenen Reshoots noch etwas Nennenswertes hätten verändern können. Laut eigener Aussage hätte Josh Boone gerne welche gedreht, wenn nach zwei, drei Jahren Stillstand nicht alle jugendlichen Schauspieler schon merkbar aus ihren Figuren gewachsen wären.

Davon abgesehen merkt man natürlich dennoch, dass dieser Film bei aller Sympathie kein Meisterwerk geworden ist. Den besagten Horroreinschlag hätte der Regisseur noch deutlicher erbringen können; so bleibt es eher bei Horrorelementen. Enorm gruseln wird sich hier wohl niemand. Allerdings bleibt auch hier ungewiss, ob Boone sein Werk selbstständig „entschärft“ hat (der erste Trailer bietet zumindest Horrorszenen, die nicht im fertigen Film gelandet sind) oder ob das Studio, sei es Fox oder Disney, hier tatsächlich eine angenehmere Variante des Films forciert hat. Mit der Anstalt als erzählerischen Rahmen hätte definitiv noch mehr gemacht werden können.

Den finalen Akt bezeichnen einige Kritiker schließlich als unnötige Entfremdung vom eigentlichen Genre-Ansatz, andere wiederum sehen hierin den einzig unterhaltsamen Teil des Films. Das Finale geht in eine Actionsequenz über, die nach diesem Aufbau kaum zu erwarten war. Für mich handelt es sich dennoch um keine Unstimmigkeit, da die Action mit ihrer epischen Inszenierung und den kreativ zum Einsatz gebrachten Mutanten überaus unterhaltsam ist. „The New Mutants“ verfügt generell über so einige Momente, die so nicht zu erwarten waren. Sei es die Beziehung mancher Charaktere, sei es eine unverhoffte Verbindung zum restlichen Franchise oder eben dieses fulminante Spektakel zum Schluss.

Klar, mehrere Kritikpunkte sind ebenso angebracht, z.B. die Abziehbilder von Figuren, die im Gegensatz zu älteren X-Men Filmen kaum ergründet werden; oder der langsame Start. Trotz seiner kurzweiligen 95 Minuten Laufzeit braucht der Film ein bisschen, um in die Gänge zu kommen. Außerdem fehlt der ganzen Nummer der letzte Schliff und – bezüglich der netten Horrorelemente – der Mut noch einen nötigen Schritt weiterzugehen. Wäre der Film ohne all das Drama viel besser geworden? Schwer einzuschätzen. Etwas besser wahrscheinlich schon. Hätte das Studio dem Regisseur einfach kreative Freiheit gelassen, dann hätte aus diesem Projekt etwas wahrlich Gutes werden können.

The New Mutants© The Walt Disney Company Germany GmbH

Fazit: Die alte X-Men Magie darf noch ein letztes Mal durchblicken. „The New Mutants“ schafft es trotz der ganzen Umstände wieder an das alte, einzigartige X-Men Gefühl anzuknüpfen. Daraus ergibt sich ein intimes Teenager/Mutanten-Drama, welches mit solidem Horroreinschlag, starken Actionmomenten und atmosphärischer Inszenierung zu überzeugen weiß. Ohne Studioeingriff und mit einer präziser ausformulierten Vision hätte das bekannte Franchise mit einem ganz speziellen Genre-Film enden können. So bleibt es aber zumindest bei einem experimentierfreudigen Horror-Drama, welches allenfalls an seinem Entstehungsumfeld und seinen Ambitionen gescheitert ist, etwas Neues und Mutiges zu wagen.

7.0 von 10.0

Die Kritik im Original auf Moviepilot

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