The Last Duel – Kritik und Review

The Last Duel© 20th Century Studios

Altmeister Ridley Scott inszeniert wieder einen Historienfilm. Er ist einer der wenigen, der heutzutage noch das Mittelalter und die Antike auf die große Leinwand bringt. Sei es durch „Gladiator“, „Königreich der Himmel“ oder „Robin Hood“, Scott erhält vielleicht nicht immer die besten Drehbücher, aber inszenatorisch können ihm nur wenige etwas vormachen. Dieses Mal passt sowohl die Inszenierung, als auch die Geschichte.

Denn u.a. Matt Damon und Ben Affleck haben nach über 20 Jahren wieder gemeinsam ein Drehbuch verfasst. Und einmal mehr basiert der Stoff auf einer wahren Begebenheit, zumindest auf dem, was nach mittelalterlichen Quellen überliefert ist.

„The Last Duel“ baut auf dem gleichnamigen Roman eines Mittelalter-Historikers auf. In Frankreich des 14. Jahrhunderts trugen zwei Junker eines der letzten Duelle bzw. Gerichtskämpfe aus. Wenn ein Rechtsstreit gerichtlich nicht lösbar war, dann gab es die Möglichkeit auf ein endgültiges Gottesurteil durch einen Zweikampf. Obgleich seiner Abschaffung fand die Überführung in das neuzeitliche Duell (dann meist mit Schusswaffen) noch bis ins frühe 20. Jahrhundert Anwendung.

Aber „The Last Duel“ ist kein „Gladiator 2“, kein weiteres, romantisiertes Heldenepos. Stattdessen inszeniert Scott eine gezielte Dekonstruktion seines geliebten Genres und erzählt zeitgleich eine Geschichte, die moderner nicht sein könnte. Dabei wieder, wie von ihm gewohnt, audiovisuell hervorragend umgesetzt, obwohl dieses Mal die Cleverness des Drehbuchs das Inszenierte übertrifft.

Das besondere Merkmal von „The Last Duel“ ist nicht die mittelalterliche Action, sondern die Geschichte dahinter. Und das erzählt der Film in Form von drei verschiedenen Perspektiven. Deutlich in drei Figuren, in drei Akte unterteilt, werden nach und nach die Sichtweisen von drei Protagonisten präsentiert: von Jean de Carrouges, Jacques Le Gris und Marguerite de Carrouges.

Alle drei werden großartig von Matt Damon, Adam Driver und Jodie Comer repräsentiert (Jodie Comer ist eine kleine Neuentdeckung für mich, erst zuletzt spielte sie an Ryan Reynolds Seite in „Free Guy“). Das erinnert selbstverständlich an Kurosawas Klassiker „Rashomon“. Dadurch erfindet der Film nichts neu, aber erzählt die Geschichte auf eine interessante und wirkungsvolle Weise.

„The Last Duel“ ist nicht so direkt wie „Rashomon“, nicht so explizit und eindringlich, aber dafür doch realistisch und feinfühlig. „Rashomon“ erzählt von der Wahrheit, der subjektiven Wahrheit; der Wahrheit, die es vielleicht gar nicht geben kann, weil alles und jeder sie anders wahrnimmt. Dabei sind die Geschichten jedoch auch derart überzeichnet in ihrer Verschiedenheit, dass doch alle drei Perspektiven offenbar erlogen und ohne versöhnlichen Mittelweg sind.

„The Last Duel“ erzählt hier subtiler, nachvollziehbarer, und eben auch überwiegend glaubhaft. Alle drei Perspektiven sind ganz klar das: Perspektiven. Der eine heroisiert sich vielleicht zu stark, der andere bildetet sich in hin und wieder nur etwas ein. Aber es bleiben überwiegend glaubhafte Momente, die in einer einzigen, unumstößlichen Wahrheit münden.

Dazu stößt eine dritte Perspektive: die der Frau. An der Stelle bricht der Film seine historische Grundlage fast schon auf ironische Art, denn einzig die Sichtweise der Marguerite ist der originelle Teil des Drehbuchs, nämlich überwiegend frei erfunden. Niemand weiß, ob sie die Wahrheit gesagt hat oder nicht, denn dazu sagen die Quellen nichts aus.

Aber darum geht es auch nicht, denn die Geschichte der Menschheit blendet die Sichtweise der Frauen zu oft aus, weswegen ihre Perspektive nicht überliefert werden konnte. Stattdessen geht es um die Aussage und die ist so modern wie aktuell, trifft genau den Zeitgeist, hat ihren perfekten Zeitpunkt vielleicht sogar um ein paar Jahre verpasst.

„The Last Duel“ erzählt von einer Vergewaltigung aus drei Perspektiven. Adam Drivers Jacques wird von Jodie Comers Marguerite der Vergewaltigung angeklagt. Und sowohl die beiden, als auch Matt Damons Jean erzählen die Abläufe davor, danach und währenddessen aus ihrer subjektiven Perspektive. Das gelingt „The Last Duel“ auf eine Art, die ihn gar nicht mehr so mittelalterlich erscheinen lässt, als man zunächst annehmen könnte.

Es geht weniger darum, was wahr ist und was nicht. Was wird geglaubt? Wem wird es geglaubt? Wie geht die Gesellschaft damit um? Und warum geht sie so damit um? Die drei Drehbuchautoren Affleck, Damon und Nicole Holofcener gelingt dadurch eine eindrückliche Metapher auf Zustände, die nicht so veraltet sind, wie wir es uns wünschen würden. Damit inszeniert Ridley Scott ein bedeutendes Plädoyer für die Rechte und Stimmen der Frauen und dekonstruiert ausgerechnet seine einstigen geliebten Rittergeschichten von Mut, Ehre und Heldentum.

Was dabei im Gegensatz zu „Rashomon“ verloren geht, ist die Stringenz, die Einheitlichkeit, eine durchweg verbindende Erzählweise. Denn obwohl die drei Perspektiven von derselben Geschichte handeln, verifizieren sie (oder eben nicht) nur auszugsweise die Perspektive des jeweils anderen. So findet die Geschichte Jacques Le Gris größtenteils an Orten statt, an denen Jean und Marguerite de Carrouges gar nicht waren. Und Marguerite tritt der Geschichte zu einem Zeitpunkt bei, als die der zwei männlichen Protagonisten schon zu einem Drittel erzählt ist. Somit bleibt vieles dem Zuschauer überlassen.

Wann stimmt etwas, wann nicht? Wann beschönigt jemand etwas, wann nicht? Freilich kommt man selbst bei jeder neuen Szene auf den Gedanken, dass der jeweilige Protagonist sein Können und Wissen vermutlich übertrieben darstellt. Aber es wird eben (leider) nicht immer in einen anderen Kontext gestellt.

Manchmal werden auch Szenen, in denen zwei der Protagonisten vorkamen, nur aus einer Sichtweise erzählt, wodurch offenbleibt, ob die Szene überhaupt existiert hat. Deswegen ist „The Last Duel“ etwas zu sehr zerstückelt und sprunghaft. Viele Kritiken sprechen auch von einem repetitiven Charakter, dem ich allerdings widersprechen würde. Dafür nehmen die drei Perspektiven zu selten exakt denselben Verlauf, wie die jeweils anderen.

Ich bin mir nicht immer sicher, ob das clever oder eine vertane Chance ist. Zwei Beispiele: In beiden Perspektiven von Jacques und Jean retten der jeweils andere seinem Freund das Leben. Aber nur in der Perspektive von Jean bedankt sich der Freund auch für diese Tat. In Jacques Sichtweise wird diese Szene nicht mehr aufgegriffen. Also wer hat jetzt wen gerettet? Oder hat es diese Szene vielleicht gar nicht gegeben, weil sie bei Jacques nicht vorkommt?

Vielleicht kommt sie aber auch absichtlich nur bei Jean vor, weil seine Sicht die Freundschaft zu Jacques insgesamt sehr stark betont. Im Gegensatz dazu werden bei Jacques Sicht die meisten freundschaftlichen Szenen gestrichen, was erahnen lässt, dass er die vermeintliche enge Freundschaft zu Jean gar nicht oder zumindest anders wahrgenommen hat.

Ein weiteres Beispiel betrifft die Treffen zwischen Jacques und Marguerite. Zu einem festlichen Anlass trifft Jacques sie an einem Büfett-Tisch und flirtet mit ihr. Während der Perspektive von Marguerite wird diese Szene allerdings nicht mehr aufgegriffen. Hat sie also jemals stattgefunden? Wäre es nicht interessant gewesen, wie Marguerite diese vermutlich durch Jacques Sicht stark romantisierte Szene wahrgenommen hat? Oder hat er sie gar nicht wahrgenommen, vielleicht sogar nur erträumt, wie bereits eine andere Szene zwischen Marguerite und ihm?

Es ist generell eine clevere Gegenüberstellung, dass Marguerite später im Gerichtsprozess gefragt wird, ob sie ihre Vergewaltigung nur erträumt hat. Im Gegenteil: Jacques ist derjenige, der träumt und sich oftmals Dinge einzubilden scheint, gar ignoriert.

Wie dem auch sei, „The Last Duel“ gelingt eine starke Geschichte über Ehre und Egoismus, über eine unfreie Welt, in denen es nur wenigen adligen Männern gut ergeht und allen Frauen miserabel schlecht. Und dabei ist der Film zeitgleich eine Metapher auf die heutige Welt, auf soziale Strukturen, die es Jahrhunderte lang gab und teilweise immer noch gibt; über ein System, was zu selten hinterfragt, zu selten andere Perspektiven zulässt; über Menschen, die Opfer der eigenen Gesellschaft und ihres Ehrgefühls sind.

„The Last Duel“ ist auch ein Appell an die unabhängige Gerichtsbarkeit; die von Gefühlen und Emotionen befreite Wahrheit, die so objektiv wie möglich alle Fakten begutachtet und zu einem fairen Urteil gelangt. Nicht nur die verhandelte Vergewaltigung im 14. Jahrhundert erscheint überraschend relevant. Auch der Austragungsort des Urteils ist so mittelalterlich wie aktuell: Kapituliert vor der Gerichtsbarkeit treffen die zwei männlichen Protagonisten in einer Duell-Arena aufeinander, umgeben vom Pöbel und belustigten Adel. In einer Arena der Öffentlichkeit schlagen sich zwei Figuren bis zum letzten Atemzug und vor Gottes Augen die Köpfe ein.

Wem wird geglaubt und warum? Wie ist man zu seinem Urteil gekommen und wodurch? Und inwiefern berechtigt das jemanden, sein Urteil auch zu äußern? In gewisser Weise ist dieses mittelalterliche Schauspiel gar nicht so mittelalterlich. Es wird heutzutage nur anders und woanders ausgetragen. Im öffentlichen Raum, in dem jeder sich seine eigene Faktenlage zurecht sucht und damit angemessen oder unangemessen (ver-)urteilt.

The Last Duel© 20th Century Studios

Fazit: „The Last Duel“ ist nicht perfekt erzählt, aber in seinen Themen erschreckend aktuell und intelligent. Ridley Scott inszeniert in seiner späten Karriere einen Film, der sein geliebtes Rittergenre dekonstruiert und womit er sich nochmal neu erfinden kann. Das basiert auf dem tollen Drehbuch von Affleck, Damon und Holofcener, denen es gelingt eine spannende, wie hochrelevante Geschichte zu schreiben, die im Stile mehrere Perspektiven nicht immer optimal ausbalanciert ist, aber im Kern ein faszinierendes Bild über Perspektiven und Wahrheiten zeichnet.

8.0 von 10.0

Die Kritik im Original auf Moviepilot

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Seite verwendet Cookies, um die Nutzerfreundlichkeit zu verbessern. Mit der weiteren Verwendung stimmst du dem zu.

Datenschutzerklärung