„Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings“ ist mittlerweile der 25. Film des Marvel Cinematic Universe und bringt das berühmte Film-Franchise nach zwei Jahren erzwungener Pause zurück auf die Kinoleinwand. Dieser Film muss die Bürde tragen, die sogenannte 4. Phase des MCUs zu eröffnen, wodurch „Shang-Chi“ gleichzeitig als Gradmesser und Wegweiser (aus finanzieller und erzählerischer Hinsicht) für den quasi Neustart des seriellen Franchises gilt. Technisch gesehen gehörte „Black Widow“ bereits zu Phase 4; ein Film, der sich jedoch aufgrund seines Prequel-Charakters und der zeitgleichen Veröffentlichung auf Disney+ nicht wirklich als Referenzbeispiel für das MCU „Post-Endgame“ hernehmen lässt.
Nach längerer Zeit der Kino-Abstinenz stellt „Shang-Chi“ im Wesentlichen einen erzählerischen Neustart dar. Nicht nur aufgrund der erzwungenen Pause, sondern auch angesichts der inhaltlichen Qualität, die das MCU auf den letzten Metern spürbar verlassen hatte (Captain Marvel, Avengers: Endgame, Spider-Man: Far From Home), besitzt Marvels neuster Film die etwas unrühmliche Aufgabe, neue und alte Zuschauer zurückzugewinnen. Was ist denn nun von der 4. Phase und dem MCU nach dem Endgame-Finale zu erwarten? Bleibt alles beim Alten oder betreten Kevin Feige und sein Marvel-Film-Universum neue Pfade? Vor allem mit Blick auf die Origin-Filme des Franchises hatte sich Marvel noch nie mit Ruhm bekleckert. Besonders hier wurde die formelhafte Narrative immer deutlich.
„Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings“ ist tatsächlich eine positive Überraschung, wenn auch keine Genre-Offenbarung. Auf verschiedenen Plattformen und Rating-Seiten wird Marvels neuster Streich schon wieder als das Nonplusultra des Comic-Genres angepriesen. Nun, so gut ist „Shang-Chi“ nicht, aber er entpuppt sich doch zumindest als kleiner Überraschungshit für das MCU nach Jahren der Flaute (der letzte gute Film war „Avengers: Infinity War“). Marvel lernt sogar aus einigen ihrer Fehler, die insbesondere die lahmen Origin-Filme immer schwer belastet haben.
Im Vergleich zu den Team-Up- und Event-Filmen wirkten jene oftmals nur wie eine Zwischenstation zum nächsten großen Finale und die immer gleichen Spannungsbögen und formelhaften Erzählweisen machten die Einzelabenteuer umso langweiliger und uninteressanter als den Rest der Reihe (man erinnere sich an „Doctor Strange“, dem so wenig einfiel, dass man Tony Stark als Charakter einfach kopierte). „Shang-Chi“ erfindet das Rad nicht neu, aber als langjähriger Fan wurde auch ich zunehmend müde, angesichts des fehlplatzierten Humors, blassen Antagonisten, klassischen Love-Interests und einer redundanten Drei-Akt-Struktur mit dem immer selben Effekt-Finale. Zumindest die ersten drei dieser fünf Eigenschaften finden sich in „Shang-Chi“ zum Glück nicht mehr wieder.
Eine sechste Sache kommt hinzu: die Action. Ein bisschen kompetent inszenierte Action war angesichts der Vermarktung natürlich zu erwarten, aber wenn es sich nicht gerade um die letzten beiden Ableger der Captain-America-Trilogie gehandelt hat, dann enttäuschte das MCU in den letzten Jahren besonders auf diesem Feld. Die Martial-Arts-Action von „Shang-Chi“ sticht nun heraus, welche gerade im ersten Akt hervorragend choreografiert ist und bis ins Finale präsent bleibt (sogar das Effekt-Gewitter am Ende lässt noch Raum dafür).
Ich bin zwar kein Kenner des asiatischen Kinos – welches sich an dieser Stelle nochmal auseinander differenzieren ließe –, aber als Inspirationsquelle für Marvels ersten richtigen chinesischen Helden übernimmt „Shang-Chi“ hier durchaus kompetent und ansehnlich einige Einflüsse und lässt diese in seine hervorragend inszenierten Kämpfe einfließen. Vor allem die erste Sequenz in einem Bus überrascht und setzt gleich einen Standard für den restlichen Film, welcher die üblichen Schwächen des MCUs vergessen lässt.
Auch im Humor-Bereich überzeugt Marvel endlich wieder. Schauspielerin Awkwafina ist als Comic-Relief gelungen, weil sie mit ihrer Art nie nervt, keine Szene unnötig mit Ironie gebrochen wird und ihre Witze tatsächlich gut dosiert und lustig sind. Ab dem zweiten Akt hält sie sich außerdem angenehm zurück, wodurch der Film mehr Raum für seine ernstere Geschichte erhält. Immer noch vor Schmerz windend erinnere ich mich an den furchtbaren und unpassenden Humor von „Avengers: Endgame“. Scheinbar sind wir wieder in einem verträglichen Bereich angekommen.
Zwei größere Kritikpunkte besitzt „Shang-Chi“ in meinen Augen aber dennoch. Auf der einen Seite wäre die ausartende Exposition zu nennen, die maßgeblich im zweiten Akt gebraucht wird, um die viel zu umfangreiche und komplizierte Vorgeschichte sowie Handlung des Films zu erklären. Da dem Film nichts einfällt, um diese Informationen sinnvoll zu visualisieren, tragen es einem die Figuren einfach minutenlang vor. Und selbst dadurch schafft es der Film nicht mal all seine historischen Elemente zu erklären. So bleibt der Ursprung der zehn Ringe weitestgehend unangetastet. Im Zusammenspiel damit nimmt der Einsatz von Rückblenden phasenweise Überhand. Immer wieder verstreut muss zusätzlich die Hintergrundgeschichte von Shang-Chis Kindheit erklärt werden, womit man in Anbetracht des Umfangs fast einen eigenen Prequel-Film hätte drehen können.
Auf der anderen Seite steht das MCU-typische Effekt-Finale im letzten Drittel des Films. Unter Umständen hätte mich dies nicht mal sonderlich gestört, wenn die plötzlich etablierte Fantasy-Welt, in der das letzte Drittel stattfindet, nicht so deplatziert und abstoßend gewesen wäre. Letztlich wirkte sie mehr albern und möchte einfach nicht zum zuvor geerdeten Martial-Arts-Stil passen. Comic-Geschichte und Hintergrund in allen Ehren, aber diese kurzfristig aufgebaute Pokémon-Welt empfand ich doch als unpassend. Dadurch wird leider auch der zuvor aufgebaute Vater-Sohn-Konflikt geopfert, welcher durch eine noch größere und viel langweiligere Bedrohung ersetzt wird. Warum „Shang-Chi“ hier als Origin-Film nicht kleiner und konzentrierte bleiben durfte, bleibt mal wieder das Geheimnis von Kevin Feige und Marvel.
Was gleichsam positiv als auch negativ beurteilt werden könnte, ist die konsequente Verankerung der Handlung in die chinesische Mythologie und geografische Vorortung, wodurch ungefähr 20-25% des Films in Chinesisch gesprochen wird. Aus unerfindlichen Gründen erwähnte das auch gefühlt keine einzige Filmkritik, weswegen man sich als Zuschauer die ersten zehn Minuten erstmal fragt, ob das Kino die richtige Version abspielt.
Einerseits ist diese Entscheidung aufgrund der kulturellen Grundlage sehr konsequent und lässt zumindest erkennen, dass der Film seine Charaktere und seine Wurzeln ernst nimmt (im Gegensatz zu „Black Panther“, der absolut nichts mit Afrika zu tun hatte). Anderseits wirkt diese filmische Entscheidung natürlich auch kalkuliert, welche sich zugunsten des angepeilten chinesischen Marktes einfach treffen ließ. Für mich überwiegt hier aber das Positive, obgleich eine bewusste Anbiederung an den chinesischen Markt nicht abzustreiten ist.
Abschließend sind noch der Protagonist und sein Gegenstück, der „Mandarin“, zu erwähnen. Tony Leung bringt nun endlich nach Jahren den echten „Mandarin“ ins MCU, der sich allerdings weder so nennt, noch als bemerkenswerter Bösewicht herausragt. Für MCU-Verhältnisse ist der Bösewicht in Ordnung, sticht jedoch im Vergleich mit den anderen, meist eher schwachen Marvel-Antagonisten, nur leicht hevor. Die Fans, die seinerzeit von „Iron Man 3“ enttäuscht wurden, dürften zwar damit ein wenig Genugtuung erhalten haben. Gegen Ende flacht die vorhandene Motivation von Shang-Chis Vater aber leider ab und wird immer austauschbarer.
Zumindest der Konflikt zwischen dem Protagonisten Shang-Chi und ihm überzeugt, auch wenn er im letzten Abschnitt zugunsten der Effekte untergraben wird. Immerhin findet der Konflikt eine elegante Lösung, um das ebenfalls typische Origin-Phänomen der MCU-Filme zu umgehen, dass zwei Figuren grundlegend dieselben Kräfte haben und sich damit am Ende die Köpfe einschlagen. Stattdessen muss Shang-Chi eine andere Technik erlernen, anstatt einfach zehn weitere Ringe zu erhalten.
Thematisch und erzählerisch ist aber auch von „Shang-Chi“ nichts Neues zu erwarten. Originelle, zentrale Motive sind, bis auf die beliebten „Daddy-Issues“ und einem kleinen Weltrettungsszenario, nicht vorzufinden. Simu Lu bleibt als Protagonist farblos, trotz seines sympathischen Auftritts (eine spannende Charaktereigenschaft bzw. Entwicklung lässt der Film mittels seiner Rückblenden sogar unbeantwortet und spielt im Kampf gegen den Vater leider keine Rolle mehr, Stichwort: Blutschuld und sein erster Auftrag). Mehr als die übliche Heldenreise erhält man also nicht. Wiederum positiv anzumerken, ist, dass Shang-Chi auf eigenen Beinen steht und der Film seinem eigenen Helden vertraut. Allzu häufig benötigen mittlerweile auch Origin-Filme Unterstützung von etablierten Figuren des MCUs (siehe die neue Spider-Man-Trilogie und Captain Marvel).
Fazit: „Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings“ ist ein hervorragend inszenierter und unterhaltsamer Eintrag in das Marvel Cinematic Universe, der zwar nicht zu den Top 10 aller Comic-Verfilmungen zählen wird, aber das Franchise in eine vielversprechende Richtung führt. Es wurde nicht aus allen Fehlern gelernt, aber nach Jahren der Flaute bringt „Shang-Chi“ endlich wieder frischen Wind. Erzählerische Mängel und das schwache letzte Drittel bewahren den Film davor zu einem echten Kinohit zu werden, aber die Mischung aus fein choreografierter Action, der richtigen Balance aus Witz und Ernst sowie dem gut aufgelegtem Cast machen aus „Shang-Chi“ einen unerwarteten Achtungserfolg.
7.0 von 10.0
Die Kritik im Original auf Moviepilot