Im Westen nichts Neues (2022) – Kritik und Review

Im Westen nichts Neues© Netflix

Die Verfilmung von 1930 bleibt dann doch klar die bessere. Nach den vielen Lobeshymnen habe ich mir von der deutschen Neuauflage ein wenig mehr erhofft. Der Produktionswert des Films ist natürlich auf absolut hochwertigem Kino-Level und könnte locker einem hochbudgetierten Hollywoodfilm gleichen. Aber neben ein paar schönen Szenerien und guten Actionszenen fehlt der Neuauflage die Tiefgründigkeit der ersten Verfilmung bzw. Romanvorlage.

Dazu kommen einige seltsame Drehbuchentscheidungen, die gegen Ende gar albern konstruiert wirken (Paul Bäumer stirbt buchstäblich wenige Sekunden vor dem ersehnten Waffenstillstand am 11. November 1918 – ernsthaft?). Gegen die zeitliche Verlagerung in das Jahr 1917 ist prinzipiell nichts einzuwenden und hätte den Ablauf der Handlung sogar angenehm straffen können. Allerdings gelingt dem Original von 1930 dennoch ein besserer Erzählfluss, da sich die Reise der Soldaten, ihre innere wie äußere Zerstörung sowie die Zeitsprünge durch die Kriegsjahre viel organischer anfühlen.

Auch dramaturgisch ist das Pendant überlegen. Kleine Glücksmomente, wie z. B. die Begegnung mit drei französischen Frauen, werden an Punkten gezeigt, an denen die Soldaten schon seit Monaten/Jahren in der Hölle sitzen. Demgegenüber verlagert die Neuauflage jene Momente an den Anfang, um anschließend urplötzlich einen 18-monatigen Zeitsprung an das Ende des Krieges zu wagen. Es wirkt nicht so, als hätte man das Martyrium von Paul und seinen Freunden wirklich miterlebt.

Auf banale Weise nimmt man mit der Zeitverschiebung der Handlung auf die letzten Tage des Krieges auch den Sinngehalt des Titels. Im Original endet der Film zwar gegen Ende des Krieges, aber ist eben nicht am Ende. Daher rührt schließlich die besagte Nachricht und der Titel des Films: Im Westen nichts Neues. Denn an der Westfront hat sich eben buchstäblich nichts geändert. Die Neuverfilmung endet allerdings mit dem Waffenstillstand. Es gibt also gar nicht mehr nichts Neues im Westen.

Die Sinnlosigkeit dieses tragischen Krieges wird dadurch nicht annähernd so gut verdeutlicht wie im Original. Sinnbildlich dafür steht jeweils eine zentrale Actionszene beider Verfilmungen: In der 1930er-Version kommt es in der ersten Hälfte des Films zu einem beeindruckenden Schlagabtausch zwischen den Franzosen und Deutschen. Die Franzosen starten einen der vielen Sturmangriffe auf die deutschen Schützengräben, der schließlich im Kugelhagel umgehend scheitert und von den Deutschen erwidert wird. Selbiger Angriff scheitert aber natürlich ebenfalls und beide Seiten ziehen sich auf ihre vorhandenen Stellungen zurück.

Clever nutzt der Film hier Schnitt und Kamerabewegung, um die Sinnlosigkeit des Ganzen zu verdeutlichen. Rechts schwenkt die Kamera als die Franzosen im Kugelhagel fallen, wenig später links, als die Deutschen im Feuer der Franzosen zu Boden gehen. Derselbe Versuch, dasselbe Resultat; nur gespiegelt und eben sinnlos.

Die Neuverfilmung zeigt eine im Grunde ähnlich veranlagte Sequenz, als die Franzosen und Deutschen sich ein vergleichbares hin und her leisten, welches darin mündet, dass es den Franzosen gelingt mithilfe ihrer Panzer die Deutschen zurückzuschlagen. Eine beeindruckend gefilmte Sequenz, die auch zum historischen Zeitpunkt logisch erdacht ist (schließlich befanden sich die Deutschen ab Herbst 1918 tatsächlich tendenziell auf dem Rückzug und wurden durch die Ressourcenüberlegenheit der Alliierten immer häufiger zurückgedrängt).

Allerdings enthält die gesamte Sequenz zu keinem Zeitpunkt den Kontext und die Aussage der Buchvorlage, sondern ist eben einfach nur eine sehr gut gemachte Actionsequenz, die ein paar brutale Momente beinhaltet.

Man könnte weitere Punkte aufzählen, die das Original zum besseren Film machen, sei es die Diskrepanz zwischen Front und Heimat, damit verbunden auch die Sprachlosigkeit der traumatisierten Soldaten (etwas, was die Neuauflage aufgrund der Aussparung des Heimaturlaubs von Paul Bäumer nicht leisten kann), oder die Dehumanisierung des Individuums, nicht nur durch den Krieg, sondern durch das Militär an sich (im Original hervorragend durch den ehemaligen Briefträger Himmelstoß verkörpert).

Im Westen nichts Neues© Netflix

Alles in allem ist „Im Westen nichts Neues“ (2022) damit keine schlechte Neuverfilmung. Aber im direkten Vergleich fehlt dann doch so einiges, um ans Original heranzureichen. Den teils euphorisch positiven Stimmen zum Film kann ich mich zumindest nicht anschließen.

6.5 von 10.0

Die Kritik im Original auf Moviepilot

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Seite verwendet Cookies, um die Nutzerfreundlichkeit zu verbessern. Mit der weiteren Verwendung stimmst du dem zu.

Datenschutzerklärung