Days Gone – Eine Geschichte, die ihr Potenzial nicht nutzt

Days Gone© SIE Bend Studio

Das Open-World-Videospiel „Days Gone“ aus dem Jahr 2019 ist wohl schon als das „vergessene“ Sony-Exclusive in die Geschichte der langen Liste an erfolgreichen Playstation-Videospielen eingegangen. Neben einem „God of War“, „Spider-Man“ oder „The Last of Us” verschwand der erste richtig große Titel des Bend Studio schnell vom Radar. Und dennoch schaffte es „Days Gone“ über die Zeit eine loyale Spielerbasis zu etablieren, die das Spiel – trotz damaliger gemischter Kritiken – immer wieder als Geheimtipp sowie unterbewertete Perle unter den großen Sony-Titel hervorstechen ließ. Ungeachtet seiner spielmechanischen Stärken, scheitert „Days Gone“ allerdings auf erzählerischer Ebene.

Die Kritik der Gamestar fasst es bereits recht gut zusammen: „Aus einem ‚Mensch, dass könnte interessant werden‘ wird dann schnell ein ‚Joa, okay‘ und zum Schluss ein ‚Wie, was? Worum gings noch gleich? Na ja, egal.‘“ Ich habe nur selten eine Geschichte gesehen und erlebt, bei der ich an so vielen größeren und kleineren Aspekten ausmachen konnte, wieso die Handlung für mich dramaturgisch nicht funktioniert. Ich stimme zwar nicht damit überein, dass mir die Geschichte ab einem bestimmten Zeitpunkt egal wurde, aber es trifft es doch ziemlich gut, dass „Days Gone“ viel vorbereitet und viele spannende Richtungen einschlägt, die jedoch nie konsequent zu Ende geführt werden und erzählerisch überraschend nichtssagend bleiben. Aber woran genau liegt das?

Gameplay und Spieldesign

Zunächst sei der Gameplay-Teil und einige positive Eigenschaften des Spiels anzusprechen. „Days Gone“ hatte zu seiner Veröffentlichung – mitunter aufgrund seines technisch mittelprächtigen Zustandes – mit durchwachsenen Kritiken zu kämpfen. Hinzu kam der eher durchgekaute Ansatz eines weiteren Standard-Open-World-Titels, der mit seiner „Freaker“-Apokalypse und mehreren Klischee-Charakteren nicht wirklich viel Begeisterung auslösen konnte. Einzig die vielversprechende Horden-Mechanik schien den Titel von anderen Genre-Vertretern abzuheben.

Dazu sei zum einen gesagt, dass ich mir nach fast zwei Jahren Abstand keinen Eindruck mehr von technischen Unzulänglichkeiten machen konnte und stattdessen auf der Playstation 5 in flüssigen 60 FPS die bis dato beste „Days Gone“-Version genießen konnte. Zum anderen muss angefügt werden, dass dieses Spiel für seinen generischen Open-Word-Ansatz an vielen Stellen sehr viel richtig macht. Klar, auch hier hätte es Luft nach oben gegeben, sei es das weitestgehend nutzlose Jagd- und Kräuterpflanzen-System (es dient nur zum mäßig sinnvollen Verkauf und klammert tiefgründigere Survival-Mechaniken gänzlich aus) oder die stellenweise mangelnde Waffen- und Fertigkeiten-Variation (gegen die Horden hätte ich gerne mehr Optionen bezüglich der Fallen und Minen gehabt, anstatt nur Blei und Molotows). Aber bis auf kleine individuelle Kritikpunkte wirkt diese Open-World gut durchdacht und dosiert.

„Days Gone“ tappt nie in die Falle, den Spieler mit unnötig vielen Icons und Markierungen voll zu bombardieren und bietet dennoch aus der Mode gekommene Komfortfunktionen, wie eine Mini-Map. Der Survival-Light-Aspekt wirkt nie aufgezwungen und dennoch macht es Spaß seine Bike-Routen sorgfältig zu wählen, Tankstopps einzuplanen und Ressourcen zu sammeln. Das Upgrade-System ist ebenso durchdacht und ausreichend vielfältig. Dadurch, dass die verschiedenen Camps unterschiedliche Vorteile bieten, motivieren die kleinsten Missionen und die Stufenaufstiege bieten zur richtigen Zeit das nötige Equipment. Ja, die vielen Nebenaktivitäten können mit der Zeit natürlich auch mal repetitiv werden, wenn man zur zehnten Plünderergruppe geschickt wird und den elften Verräter eliminieren muss. Aber allein vom Konzept und der Umsetzung her muss sich ein „Days Gone“ nicht vor Genrekollegen wie einem „Ghost of Tsushima“ verstecken.

Zudem zerfasert sich die Geschichte durch die Open-World auch nicht unangenehm, wie es in den modernen Assassin’s Creeds oftmals der Fall ist. Hier widerspreche ich der Gamestar, wenn von einer unfokussierten Handlung die Rede ist: Für so eine Art Spiel ist die Handlung nämlich sehr linear und zielgerichtet erzählt. Zwar spaltet sich die Geschichte in mehrere Erzählstränge- und Ebenen auf, aber der Hauptgeschichte folgt man jederzeit chronologisch sowie stimmig. Es ist eben nicht so, dass „Days Gone“ den Spieler mit dutzenden Optionen alleine lässt und eine davon führt dann schon irgendwie Richtung Showdown. Nein, jeder Schritt folgt nach dem anderen und das Spiel versteht es hervorragend jederzeit nur 1-2 Möglichkeiten offenzulassen bis schließlich die nächsten Missionen freigeschaltet werden.

Eine schwächelnde Inszenierung

Obgleich der technischen Verfeinerungen nach Veröffentlichung und den mittlerweile angenehmen 60 FPS ist „Days Gone“ nie zu einem perfekt durchinszenierten und flüssigen Story-Game geworden. Selbst auf der Playstation 5 leidet das Spiel noch an unnötigen, teils unverständlichen Ladezeiten. Nicht, dass diese Ladezeiten sonderlich lang wären, es ist schlicht die auffallende Masse, welche immer wieder zur Unterbrechung von relevanten Handlungselementen führen. Bend Studio gelingt es nie eine flüssige Inszenierung zu gewährleisten, wenn Story-Sequenzen immer wieder durch lange Schwarzblenden unterbrochen werden müssen und jene Handlungsstücke ohnehin irritierend kurz und teilweise überhastet ausfallen.

Es ist sicherlich nicht immer ganz fair das Spiel und das unerfahrene Studio mit einem „The Last of Us 2“ und Naughty Dog zu vergleichen, aber der Franchise-Vergleich bietet sich nun mal an und dem muss sich „Days Gone“ auch stellen. In der Regel laufen die Story-Sequenzen von „Days Gone“ mit mindestens 2-3 Schwarzblenden bzw. Ladezeiten ab: Hauptprotagonist Deacon redet für 30 Sekunden mit seinem Freund Boozer, Schnitt; Deacon erinnert sich für eine Minute an seine Vergangenheit, Schnitt; Deacon ist wieder in der Gegenwart und steigt auf sein Bike, Schnitt. Wenn man da von einem topinszenierten „The Last of Us 2“ kommt, welches ohnehin gefühlt ein halber Spielfilm zu sein scheint und mal gerne 10-15-minütige Sequenzen aneinanderreiht, dann sieht „Days Gone“ daneben ziemlich alt aus.

Und man merkt ja, dass das Studio will: Warum setzt sich Deacon meist demonstrativ auf sein Bike, um gleich losfahren zu wollen, nur damit doch erst noch schnell ein Ladebildschirm die Welt nachladen muss? Zugegeben, die meisten großen Sony-Exclusives mussten nicht permanent eine riesige Open-World aufrechterhalten. Aber selbst ohne diesen Aspekt wirken die meisten Story-Sequenzen mit dem großartigen Schauspieler Sam Witwer nervig abgehackt und unausgereift.

Neben diesem weitestgehend technischem Mangel erreicht „Days Gone“ aber auch unabhängig davon nie die inszenatorische Kraft seiner Playstation-Kollegen. Auch hier wieder der Vergleich zu Naughty Dog: vergleicht allein mal die Eröffnung vom ersten „The Last of Us“ und die von „Days Gone“. Thematisch und inszenatorisch sind diese Einführungen und Vorstellungen der Protagonisten überaus ähnlich und vergleichbar, nur mit dem Unterschied, dass „The Last of Us“ hier genreübergreifende Standards gesetzt hat, was Aufbau, Spannung und emotionale Kraft angehen. „Days Gone“ hingegen schafft es da im Kontext nur ein „okayes“ Intro aufzubereiten, was die Charaktere zwar kurz und nett einführt, aber ansonsten all den Schmerz, den Impact und die grandiose Fallhöhe vermissen lässt.

Dramaturgische Tiefpunkte [Spoiler ab hier]

Bis auf diese und wenige andere kleine Ähnlichkeiten etabliert der alleinige Autor John Garvin in der Folge allerdings ein zunächst durchaus spannendes Szenario. Auch wenn die meisten Kritiker, Spieler und Zuschauer das Genre „Zombie-Apokalypse“ für ausgelutscht halten, kann man mit einer ausgeklügelten Geschichte dennoch in jede erdenkliche Richtung gehen. Genrekollegen machen das immer wieder vor, wenn es bspw. gar nicht um die Zombies geht, sondern um die Menschen und was solche Extreme aus der Menschheit machen können. „Days Gone“ traut sich nie in eine ähnliche interessante Richtung vorzustoßen, obwohl die Grundlagen ja vorhanden wären. Der Autor kratzt solche möglichen Wege immer wieder an, aber entscheidet sich kurz bevor es konkret werden könnte doch lieber für die klassische Erzählweise. Ja, „Days Gone“ läuft trotz einiger spannenden Prämissen leider auf sehr konventionelle Lösungen und unbefriedigende Ergebnisse hinaus.

Vor allem der Nero-Handlungsstrang ist hier ein zentraler Punkt. Auf der Suche nach seiner Frau trifft Deacon auf die geheimnisvolle Nero-Organisation, die im Gegensatz zu der leidenden Bevölkerung über hochmoderne Militärausrüstung verfügt und immer wieder in Deacons Einflusssphäre vordringt, um Forschungen an den Freakern zu betreiben. Ganz von selbst befindet sich der Spieler natürlich schnell selbst in der Situation mögliche Spekulationen anzustellen, über jedes heimlich mitverfolgte Gespräch eigene Schlüsse zu ziehen und der Auflösung des Ganzen entgegenzufiebern. Ab einem bestimmten, schon recht frühen Zeitpunkt glaubte ich sogar die Handlung einigermaßen vorhersehen zu können.

Es ergeben sich angesichts der Nero und der Freaker-Horden mehrere Fragen: Warum fliegen die Nero mit ihren Helikoptern eigentlich immer ausgerechnet in Deacons Gebiet, wenn es sich doch um eine weltweite Katastrophe handelt? Wieso hat Nero-Forscher O’Brian so viel Angst vor seinen Vorgesetzten und darf laut Protokoll in gar keinem Fall mit außenstehenden Personen in Kontakt treten? Hinzu kommen bald weitere spannende Frage, die Deacon St. John als herangewachsener Freaker-Experte mit Camp-Leiter Iron Mike bespricht: Warum und woher kommen eigentlich immer wieder neue Freaker-Horden, die kaum zu dezimieren sind? Warum ist es für Deacon und seine Mitmenschen unmöglich aus dem Gebiet zu fliehen, weil immer wieder neue Horden über den Highway ins Einzugsgebiet strömen?

Ja, es ergeben sich wirklich so einige interessante Fragen, die zumindest irgendeine Art von Verschwörung andeuten. Das alles kann nicht nur irgendeine „normale“ Zombie-Apokalypse sein, oder? Zu meiner Ernüchterung verlaufen leider all diese Spekulationen gänzlich im Sand: Doch, all das ist tatsächlich nur eine Zombie-Apokalypse nach Schema F. Die Menschheit ist weltweit betroffen, nachdem irgendein Mitarbeiter eines Forschungsunternehmens eine internationale Konferenz mit infizierten Proben verseucht hat.

Und die Nero-Organisation? Woran haben die jetzt so Weltbewegendes geforscht? An einer für die kaputte Welt und die spielerische Situation völlig irrelevanten Sache: O’Brian verklickert Deacon nach und nach, dass der Freaker-Virus am Mutieren ist und die Horden sich weiterentwickeln und intelligenteres Verhalten an den Tag legen werden. Wow, was für eine mitreißende Enthüllung (Ironie). Offenkundig orientiert sich John Garvin hierbei auch ein wenig am Spielfilm „I am Legend“ und spielmechanisch hätte so etwas schon mal eine potenzielle Fortsetzung andeuten können. Aber erzählerisch ist diese Wendung sowas von irrelevant für Deacon und die ohnehin schon kaputte Welt.

Die zentrale Geschichte mit Deacons Frau Sarah verläuft ähnlich konventionell und gleichgültig. Ich denke mal, dass es für niemanden eine große Wendung gewesen sein dürfte, als die totgeglaubte Sarah letztlich doch noch lebend gefunden wird. Auch die Enthüllung, dass Sarah unbewusst für das Forschungsunternehmen gearbeitet hat, welches für den tödlichen Virus verantwortlich ist, war durchaus abzusehen, wenn man bedenkt, wie Sarah in die Rückblenden pausenlos von ihrer komplizierten biologisch-pharmazeutischen Arbeit gesprochen hat.

Dennoch betritt „Days Gone“ hier an mindestens zwei anderen Punkten in der Geschichte, einen Bereich, der thematisch für Deacon St. Johns persönliche Reise und seinen Charakter äußerst interessant hätte sein können:

Auf der einen Seite erreicht die Handlung ab ungefähr der Mitte einen Punkt, an dem das Spiel einem wirklich glaubhaften machen möchte, dass Sarah gestorben ist und es keine Hoffnung mehr für Deacon gibt. Grundsätzlich hätte ich das für eine spannende Richtung gehalten. Wie oft gab es schon diese Prämissen, bei denen eine Person nach einer anderen totgeglaubten Person sucht (oder von allen für tot gehalten wird) und sie am Ende doch noch lebt? Wäre nicht mal eine Richtung interessant, in der unser Protagonist auf der Suche tatsächlich scheitert und alle Hoffnung umsonst war?

„Days Gone“ unterstützt diese Alternative sogar kurzfristig, nachdem die Mechanikerin Rikki Interesse an Deacon zeigt und es fast zu einer romantischen Szene kommt, die unser Protagonist jedoch gerade noch abwenden kann. Bis auf diese kleine Andeutung wird dieser Aspekt allerdings nie wieder aufgegriffen. Beide Charaktere interessieren sich im weiteren Verlauf kein einziges Mal mehr füreinander und nachdem Deacon seine Sarah findet, reagiert Rikki kaum noch darauf. Stattdessen bleibt sie, wie zuvor schon etabliert, mit ihrer Freundin Addy zusammen; ein Paar, welches sich im Verlauf der Handlung eigentlich mehr gestritten als geliebt hat. Selbstverständlich war dieser Ausgang in meinen Augen nicht.

Auf der anderen Seite ergibt sich eine spannende Konstellation, als Deacon seine Frau wiederfindet. So wie „Days Gone“ hier beide Figuren inszeniert, scheint nämlich doch nicht mehr alles wie früher zu sein. Nicht nur Deacon, auch Sarah hat sich verändert und das merkt der Protagonist und Spieler. Zuerst ist ihre Wiedervereinigung schon überraschend zurückhaltend inszeniert. Hier verfällt John Garvin nicht in die überdramatisierte Schiene des konventionellen Hollywood-Happy End, sondern platziert beide Figuren in eine Situation, in der sie sich einerseits nicht emotional ausleben dürfen und andererseits zuerst gegenseitig verarbeiten müssen, dass sie sich tatsächlich wiedergefunden haben. Ihr Treffen ist nach dem langen Aufbau fast schon unbefriedigend, weil sie gezwungen sind ihre Gefühle zu unterdrücken und emotional durcheinander sind. Aber genau das gefiel mir seltsamerweise wieder, weil „Days Gone“ sich hier nicht den erwartbaren Konventionen hingibt.

Einige Stunden später gibt es dann eine zusätzliche, ganz verräterische Szene, als Deacon auf einer gemeinsamen Mission mit Sarah ganz schockiert und zwiegespalten zuschauen muss, wie Sarah einem unbewaffneten Mann aus puren Rachegelüsten in den Kopf schießt. Ist das noch meine Sarah? Genau das muss Deacon gedacht haben. All die romantischen, überbelichteten Rückblenden mit ihr wirken plötzlich wie eine endgültig verlorene Vergangenheit. Wir haben Sarah wiedergefunden und doch wird Deacon die Zeit nicht mehr zurückdrehen können. Mit der Apokalypse hat sich jeder verändert, auch das geliebte, so lebensfrohe Mädchen. Und was macht „Days Gone“ damit? Genau, nichts. Nach dieser Aktion wird das Thema nie wieder aufgegriffen, geschweige denn vertieft. Beide arbeiten weiterhin zusammen bis sie sich aus den Klauen der Miliz befreien und gemeinsam in den Sonnenuntergang reiten können. Wieder entscheidet sich das Spiel für das erwartbare und durchweg konventionelle Hollywood-Ende. Schade.

Dramaturgische Lücken

Ich habe kein Problem damit, wenn ein Film oder Spiel genau das sein möchte – eine einfache, auf simple Dramaturgien setzende Geschichte. Manche Geschichten wollen nicht mehr. Dazu gehört zum Beispiel auch die Uncharted-Reihe (welche über andere Stärken verfügt). Aber warum wirft „Days Gone“ dann all diese möglichen Alternativen, Fragen und Ansätze auf? Oder interpretiere ich hier in einige Szenen bestimmte Themen hinein, die in Wahrheit nie vom Autor intendiert waren? „Days Gone“ weiß nicht, was es eigentlich sein möchte und entscheidet sich am Ende immer für den einfachen und langweiligen Ausweg.

Diese dramaturgische Unschärfe setzt sich übrigens weiter fort. Während die beiden Hauptstränge mit der Nero-Organisation und Sarah womöglich einfach nur unbefriedigend enden, erlaubt sich die Handlung in weiteren Bereichen noch ganz andere Aussetzer, die mehr als verwirrende Ungenauigkeiten und grobe erzählerische Lücken, anstatt nur als unangenehme Schwächen ausgelegt werden können. In mindestens drei Fällen vergisst „Days Gone“ einfach handlungsrelevante Informationen einzuführen.

Erstes Beispiel: Der Ursprung des Freaker-Virus. Ich habe bereits geschrieben, dass im Verlauf der Geschichte enthüllt wird, dass Sarahs Unternehmen an der Virusausbreitung schuld war. Allerdings erhält dieser potenzielle Twist zu keinem Zeitpunkt seine verdiente Inszenierung. Sarah erzählt Deacon in einem längeren Monolog wie ein Mitarbeiter namens David das Unternehmen für seine unethische Forschung auffliegen lassen wollte und dabei wahrscheinlich aus Versehen selbst den Virus nach draußen getragen hat. Wer dieser ominöse David jedoch ist, möchte uns das Spiel nicht verraten. Dieser Charakter wurde nie eingeführt, geschweige denn gezeigt. Anstatt den Vorfall zumindest in einer aufbereiteten Rückblende visuell darzustellen, erzählt Sarah einfach nur davon. Wie schon der „mutierende Virus“ ist dieses Element weder relevant für Deacon, noch interessant für den Spieler dargestellt. Ich mein, so etwas könnte und müsste eigentlich einen zentralen Twist der Geschichte darstellen, so leidenschaftlich und emotional Sarah davon erzählt. Aber diese Enthüllung verpufft einfach und interessiert kurz darauf niemanden mehr.

Zweites Beispiel: Die Nebenmission rund um Lisa. Die Suche und emotionale Bindung zu Lisa stellt neben der Haupthandlung sozusagen die wichtigste Nebenmission dar. Wir retten das noch junge Mädchen und kümmern uns immer wieder um sie, damit sie in einem Camp in Sicherheit ist. Allerdings steht die Verbindung zu Lisa einmal mehr auf brüchigen Strukturen. Protagonist Deacon versucht uns die ganze Zeit mit der Aussage zu motivieren, dass Lisa ihn an die kleine Schwester von Sarah erinnert und er sich deswegen verpflichtet fühlt, ihr zu helfen. Aber, wie schon beim ersten Beispiel, lernen wir diese Schwester von Sarah nie kennen. Sie taucht in keiner einzigen Rückblende auf und Sarah erwähnt sie nicht ein einziges Mal. Es ist lediglich das Spiel, was mit irgendeiner Behauptung versucht Emotionen zu erzeugen, die aber schlicht nicht vorhanden sind. Warum wird Sarahs Schwester nicht bspw. in der allerersten Szene mit eingeführt, als die Apokalypse ausbricht und Deacon mit Sarah in den Helikopter flieht? Wenn sie dort bspw. gleich tragisch den Horden zum Opfer gefallen wäre, dann hätte der Spieler bereits eine emotionale Verbindung aufbauen können. Da es stattdessen nie über ihre zufällige Erwähnung hinausgeht, verpufft diese durchaus potenzialbehaftete Handlung ebenfalls im Nichts.

Drittes Beispiel: Der dramaturgische „Höhepunkt“ der ersten Spielhälfte rund um die Ripper und Carlos. Bevor Deacon auf Sarah trifft und es langsam auf den finalen Showdown zugeht, bekämpft der Spieler zusammen mit dem Lost-Lake-Camp die verrückten Ripper mit ihrem Anführer namens Carlos. Die Motivation dafür speist sich vordergründig daraus, dass Deacon einen grundlegenden Hass gegen die Ripper-Gang hegt und es sich bei denen ohnehin um durchgedrehte Spinner handelt. Richtig spannend wird der Kampf allerdings erst, als Deacon verraten und von den Rippern gefangen genommen wird. In einer kurzen Foltersequenz stellt sich dann plötzlich heraus, dass es sich bei Carlos um einen ehemaligen Biker-Kollegen Deacons handelt. In der Theorie einmal mehr ein ziemlich schöner Twist, aber wer hätte es gedacht: Carlos, früher noch Jessie genannt, wurde im Vorfeld nie eingeführt. Deacon ist zwar sehr überrascht und das Spiel versucht mit aller Mühe dieser folgenschweren Wendung Gewicht zu verleihen, aber letztlich bleibt man als Spieler davon völlig unbeeindruckt. Wer war dieser Jessie? Keine Antworten. Es stellt sich dann sogar heraus, dass Deacon und Jessie sowieso keine besonders guten Freunde waren und sie daher keinerlei Skrupel haben sich wenig später gegenseitig bis auf den Tod zu bekämpfen. Hier wäre mit dem richtigen Aufbau – einmal mehr – so viel mehr drin gewesen. Es ist mir ein Rätsel, wie solche dramaturgischen Lücken nicht auffallen können. Mussten möglicherweise wesentliche Aspekte aus der Geschichte gestrichen werden? Oder wollte uns John Garvin das tatsächlich als gravierende Enthüllungen verkaufen?

Verschenkte Ansätze

Es gibt einige weitere kleine, zuerst spannend klingenden Ansätze, die ohne Wirkkraft bleiben:

(1) Deacon präsentiert in einem Gespräch mit Iron Mike einen Plan, wie es möglich wäre, die Bewegungsrouten der Horden zu blockieren und somit langfristig abzuschwächen. Ein halber Akt dreht sich darum, wie Deacon Sprengstoff sammelt, um zentrale Höhlen und Verbindungsstraßen sprengen zu können. Diesen Sprengstoff benutzt er jedoch später zur Vernichtung der Ripper. Ob er wirklich alles verbraucht hat, bleibt zwar unklar, gerade nachdem er später auf die gut gerüstete Miliz trifft. Aber warum taucht dieses Thema dann nie wieder auf? Nach der Vernichtung von Carlos kümmert sich plötzlich niemand mehr um diesen durchaus ganz sinnvollen Plan und das Handlungselement bleibt bis zum Schluss ungelöst.

(2) Als man im letzten Akt des Spiels das erste Mal auf die Miliz und Captain Kouri trifft (der sich bis zum Schluss als treuer Verbündeter etabliert), trägt dieser den Biker-Ring von Deacon, den er Sarah damals bei der Helikopter-Evakuierung geschenkt hat. Einmal mehr werden zahlreiche Fragen aufgeworfen: Woher hat er den Ring? Warum trägt er ihn? Lief da etwas zwischen Sarah und ihm? Hat sie ihm den Ring möglicherweise geschenkt? In einer späteren Zwischensequenz beobachtet Kouri die beiden aus der Ferne ganz argwöhnisch. Aber einmal mehr steckt absolut nichts dahinter. Kouri scheint den Ring einfach nur zu tragen, weil er ihm gefällt. Jeder Soldat, der in die Miliz aufgenommen wird (so auch Sarah), muss nämlich seinen gesamten Besitz abgeben. Kouri trägt den Ring schließlich nur aus Gefallen und gibt ihm Deacon gegen Ende auch einfach kommentarlos zurück.

(3) In Zusammenarbeit mit Sarah steht kurz vor Schluss im Raum, dass es möglich sein könnte den Virus zu heilen. Im Gegensatz zu ihren Anweisungen stellt sich nämlich heraus, dass Sarah nie an einer biologischen Waffe gearbeitet hat, sondern an einem Heilmittel. Als Deacon schließlich ein spezielles Freaker-Testobjekt beschafft, bestätigt sich allerdings, dass Sarahs Mittel nicht wirkt und den Freaker lediglich tötet. Was nun als verständlicher Rückschlag zu werten wäre, veranlasst Sarah allerdings dazu, ihre Forschung komplett aufzugeben und in der Folge lieber an einem Gift zu arbeiten. Bis auf diesen kurzen Moment wird das Thema „Heilmittel“ nie wieder aufgegriffen und gilt nach dem ersten Feldversuch einfach als gescheitert. Einmal mehr fragte ich mich als Spieler, warum dieses Fass überhaupt aufgemacht wird, wenn letztendlich nichts damit angefangen wird oder vielleicht wenigstens – wie in „I am Legend“ – zu einem hoffnungsvolleren Ende führt. Nein, stattdessen bleibt nur das Happy End zwischen Deacon und Sarah, während jede andere mögliche handlungsrelevante Frage im Keim erstickt wird.

Days Gone© SIE Bend Studio

Fazit

„Days Gone“ ist für mich ein Spiel, welches nahezu jedwedes Potenzial liegen lässt. Das würde mich nicht so sehr ärgern, wenn nicht all diese interessanten Alternativwege vorhanden gewesen wären. Aber das Spiel setzt lediglich an, um sich schlussendlich doch für einen klassischen und leider auch sehr langweiligen Weg zu entscheiden. Ausstattungstechnisch und spielmechanisch habe ich wenig an „Days Gone“ auszusetzen. Das Open-World-Konzept funktioniert richtig gut. Es ist abwechslungsreich und motiviert langfristig, ohne den Spieler hunderte Stunden binden zu wollen.

Die Geschichte bleibt für ein Sony-Exclusive allerdings in den Kinderschuhen stecken und schafft es nicht ansatzweise an die Höhenflüge seiner Kollegen heranzukommen. Die schwach endende Geschichte ist keineswegs ein K.O.-Kriterium für „Days Gone“, dafür ist es spielerisch gut genug und bietet immer noch einige emotionale Momente. Ich mochte Deacon St. John und Sarah Whitaker als Charaktere durchaus gerne. Dazu trägt auch die sehr gute Atmosphäre, die durch den grandiosen Soundtrack unterstützt wird, bei. Wenn mir eines in Erinnerung bleiben wird, dann ist das der entspannt klingende Score, der immer wieder angestimmt wird, während man mit Deacon und seinem Bike durch die trostlosen Regionen cruist.

Die Frage nach einem „Days Gone 2“ scheint sich derweil erst kürzlich erledigt zu haben. Vor allem spielmechanisch hätte eine Fortsetzung sicherlich spannend werden können und hätte – mit Blick auf das geheime Nero-Ende – einige Gameplay-Elemente vertiefen können. Mit Blick auf die Handlung hätte ich aber wenig Interesse an einer Fortsetzung gehabt, auch da Bend Studio die Geschichte ohnehin so angelegt zu haben scheint, dass der Abschluss von Deacons Reise durchaus stimmig ist und alle relevanten Prämissen zu Ende erzählt wurden. Das geheime Nero-Ende reizt mich dahingehend nicht genug und ist eher als nette „Post-Credit-Scene“ zu verstehen.

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