Was kann über „Avatar – Der Herr der Elemente“ geschrieben werden, was nicht schon längst geschrieben wurde? Diese Serie wird universell geliebt und war von so vielen Menschen ein bedeutender Teil der Kindheit – auch meiner. „Avatar“ ist nicht nur eine tolle, lehrreiche, kreative und inspirierende Show, sondern gilt schlicht als eine der, wenn nicht sogar die beste Kinderserie aller Zeiten. Und das mit Recht.
Über drei Staffeln vereint „Der Heer der Elemente“ nicht nur gekonnt Humor, Spannung und Emotionalität, hervorragend geschriebene Charaktere und eine glaubhafte, ideenreiche Welt, sondern geht mit seinen interessanten mythologischen Konzepten, sowie thematisch fordernden Aussagen einen Schritt weiter, um Kindern, Jugendlichen, aber auch Erwachsenen das ultimative Gesamtpaket aus aussagekräftigen Lehren und unschlagbarer Unterhaltung zu bieten. „Avatar“ fasziniert bis heute, ist nach wie vor relevant für die Welt und kann als Serienmeilenstein nicht genug hervorgehoben werden.
Die erste Staffel wird allgemein als die Schwächste der drei angesehen. Wenn man die Serie nicht gerade 10-12 Jahre alten Kindern empfehlen möchte, sondern älteren Freunden, wird man nicht um die Vorwarnung „Ja, es ist erstmal noch sehr kindlich, aber warte bis Staffel 2 und 3“ hinwegkommen. Und ja, das ist so. Staffel 1 kann ein gemischter Einstieg sein, da die Serie zu diesem Zeitpunkt noch offensichtlich eine Zielgruppe von eher 8-10-jährigen Kindern anspricht. Das macht sich sowohl am ausgeprägten Humor, als auch an der stark episodenhaften Erzählweise bemerkbar.
Es gibt zwar mit der Reise zum nördlichen Wasserstamm ein definiertes Ziel, aber besonders in dieser 1. Staffel sind die Wurzeln einer kindgerechten Network-Serie zu erkennen, die mit 20 Folgen über mehrere Wochen und Monate hinweg unterhalten soll. Die Länge und Folgen-Anzahl kann zwar jeder Staffel vorgeworfen werden – auch in Staffel 2 und 3 könnte man die ein oder andere weniger handlungsrelevante Episode herausstreichen – aber zu Beginn befindet sich „Avatar“ noch in einer Findungsphase. Das soll jedoch nicht unterschlage, was hier bereits Entscheidendes geleistet wird.
Die erste Staffel ist als Aufbau zu verstehen und legt erst die Grundlage dafür, was die darauffolgenden Geschichten so großartig werden lässt. Jedes bahnbrechende Sequel, ob „Empire strikes back“ oder „Terminator 2“, benötigte seinen Vorgänger, um überhaupt erst so gut werden zu können und genau das trifft auf Staffel 1 zu. Zum einen sollte der Humor nicht direkt als kindische Albernheiten abgestempelt werden. „Avatar“ besitzt über die gesamte Laufzeit, aber besonders zu Beginn mit die bestgezeichneten und ausgeführten humoristischen Einlagen, die ich je in einem Medium gesehen habe. Diese Serie ist in ihrer Inszenierung einfach unfassbar witzig und unterhaltsam. Ein Höhepunkt ist für mich die neunte Folge, „Die Schriftrolle“, bei der ich aus dem Lachen nicht mehr heraus kam.
Zum anderen sollte das betriebene World Building nicht unterschätzt werden. In das vorhandene Kriegsszenario wird man erstmal ungefragt hineingeworfen, aber die Staffel nutzt und benötigt die Zeit, um sehr viele wichtige Etappen sowie Ereignisse zu etablieren. Staffel 1 hat sehr viel Aufbau und „Foreshadowing“, obgleich der noch sehr auffälligen episodenhaften Struktur. Im späteren Verlauf der Serie merkt man schließlich erst, wie viele scheinbar unwichtige Randgeschehnisse der ersten Folgen wieder aufgegriffen werden und plötzlich absolut handlungsrelevant sind.
Sowohl die vielen scheinbar weniger bedeutenden Stationen, als auch Charaktermomente zahlen sich später aus, wodurch die folgenden Geschichten erst so gut werden. Staffel 1 wirkt zwar etwas gestreckt und wenig fokussiert, aber die Creator der Show besaßen offensichtlich einen klaren Plan, ein eindeutiges Ziel, welches konsequent bis zum Schluss verfolgt wird. All das wird zu Beginn dargelegt und etabliert, weswegen Staffel 1 durchaus unterschätzt wird.
Mit der 2. Staffel macht die Serie dann einen ersten merkbaren Sprung. In den ersten fünf Folgen fährt „Avatar“ zwar noch in den Fahrwassern von Staffel 1 – einzelne, lustige „Villain of the week“-Episoden wechseln sich hierbei ab – aber ab der Einführung von Toph wird die Show richtig gut. Die Zwischenstopps zum nächsten großen Ziel fühlen sich nun harmonischer an und spätestens ab der zweiten Hälfte weichen dann auch die humorvolleren Szenen den ernsteren Momenten.
Staffel 2 ist nun alles andere als engmaschig und hochkonzentriert erzählt, es spielt sich allerdings ein hervorragender Wechsel aus schönen Charaktermomenten und bedrohlichen Herausforderungen ein. Die siebte Folge mit dem Namen „Zukos Erinnerungen“ gehört für mich immer noch zu den besten Episoden der gesamten Serie (kann die Obi-Wan Serie bitte einfach genauso aufgebaut sein?). Ohnehin kristallisiert sich Zukos Handlungsbogen als der mit Abstand interessanteste und stärkste heraus. Bis heute gilt seine Geschichte nicht umsonst als eine der besten Redemption-Arcs überhaupt.
Das einzige, was mich hier im Verlauf überrascht hat (Staffel 3 eingeschlossen), ist wie wenig Beachtung die Geisterwelt tatsächlich bekommt. In meinen Erinnerungen hatte ich sie stets als präsenten sowie unheimlichen Ort der Show in Erinnerung. Daher habe ich auch an „Der Legende von Korra“ kritisiert, wie verändert und gar kunterbunt die Geisterwelt dort in Szene gesetzt wurde. Die Geisterwelt bleibt in „Avatar“ aber tatsächlich nach dem Finale von Staffel 1 nur noch eine Randerscheinung und ist ehrlich gesagt recht unwichtig. Umso besser natürlich, dass „Korra“ hier anschließend tiefer eingestiegen ist, wenn auch nicht ganz so, wie ich es mir gewünscht hätte.
Staffel 2 mündet schließlich in ein Finale, bei dem ich nicht mehr anders konnte, als die eindeutigen Parallelen zu „Star Wars“ feststellen zu können. Die letzten Folgen beinhalten keine große Schlacht, keinen großen Sieg, nein, „Avatar“ geht hier erzählerisch ähnlich wie „Empire strikes back“ vor. Das Staffelfinale ist dabei nicht nur ein Tiefpunkt für die Helden sowie eine schwere Niederlage, es lässt sich von der großen Filmsaga in nahezu sämtlichen Belangen inspirieren.
Ob das so geplant war, bleibt wohl unbeantwortet, aber die Philosophie könnte nicht klarer formuliert sein: „Das Kronen-Chakra sitzt direkt auf deinem Scheitel. Es stellt die Verbindung des Menschen zur kosmischen und göttlichen Energie her und wird durch irdische Bindungen blockiert. Meditiere über das, was dich an diese Welt bindet… und jetzt löse all diese Bindungen auf. Lasse den Fluss entlang fließen und vergiss sie einfach. (…) Du musst lernen sie gehen zu lassen. (…) Du musst endlich lernen loszulassen!“ – Eigentlich fehlte hier nur noch ein kleiner, grüner Gnom, der davon spricht, dass Angst der Pfad zur dunklen Seite ist und zu unsäglichem Leid führt.
Und schließlich verlässt Aang überstürzt sein Training, um sich seinen Feinden zu stellen und seine Freunde zu retten. Das erinnert nicht nur erzählerisch an die Star Wars Prequels und Episode 5, sondern vereint auch die bekannten philosophischen Lehrsätze. Das dürfte wiederum weniger verwunderlich sein, wenn beachtet wird, dass sich „Avatar“ genau wie „Star Wars“ von ostasiatischen Kulturen und Religionen hat inspirieren lassen. Die Parallelen hören hier strenggenommen nicht auf.
Aang verkörpert einen Auserwählten oder zumindest den allseits gutgläubigen und idealistischen Luke Skywalker. Zuko ist der korrumpierte Bösewicht, bei dem es sich jedoch um einen tragischen Helden handelt, der am Ende Läuterung erfährt und zurück ins Licht kehrt. Diese beiden Arcs spiegeln sich und Zuko könnte auch als Anakin Skywalker oder als gut geschriebener (!) Kylo Ren verstanden werden. Und schließlich Feuerlord Ozai.
Natürlich, ein böses Imperium und ein fieser Oberbösewicht an der Spitze gibt es in dutzenden Geschichten. Wie hier jedoch Ozai mit Zuko und Aang in Szene gesetzt wird, erinnert dann doch äußerst stark an Imperator Palpatine: Ozai verhält sich bis zur dritten Staffel immer im Hintergrund, wir sehen bis dahin nicht mal sein Gesicht. Er schwebt permanent als Drahtzieher im Schatten bis Aang und er im Staffelfinale, d.h. in der vorletzten Folge das allererste Mal, aufeinandertreffen. Schließlich besiegt Aang den Feuerlord nicht aus Rache oder blanke Wut, er vergibt ihm und findet eine gewaltfreie Lösung.
In „Der Herr der Elemente“ und „Die Legende von Korra“ finden generell sehr viele spannende Themen und Motive statt, die in dieser Form sehr speziell und einzigartig für eine Kinderserie sind. Auch hier fühle ich mich an George Lucas‘ „Star Wars“ erinnert, obgleich „Avatar“ nicht ganz so tiefgründig wird. Mit erwachsenen Augen entdeckt man nicht völlig neue Ebenen, aber sie sind durchaus vorhanden:
Genozid, Totalitarismus, wie Macht einen Menschen korrumpieren kann, soziale Ungleichheiten und Probleme in Ba Sing Se, Kritik am Imperialismus, das Durchbrechen des Kreislaufs von generationenübergreifenden Traumata als auch von Rache, systemische Ungerechtigkeit und Sexismus u. v. m. Zudem verfügen die Serien über einen sehr diversen Cast und für diese Zeit unerwartet hohe Anzahl an starken weiblichen Charakteren. Und zwar eben nicht nur auf der guten Seite, sondern durchweg ausgeglichen auf beiden.
Im Vergleich mit „Korra“ ist die Show noch für ein etwas jüngeres Publikum gedacht und thematisch weniger komplex. „Avatar“ handelt mehr noch von alltäglichen sowie menschlichen Problemen. „Korra“ macht das auch, aber ist erzählerisch komplexer und verarbeitet politische und soziale Probleme viel ernster und weitreichender. „Avatar“ knüpft dadurch bei mehr Leuten an, während die Fortsetzung konsequent einen weiteren Schritt geht und die Welt politisch sowie sozial viel grauer und weniger definierbar zeichnet.
In „Avatar“ gibt es noch die klare Struktur des Bösen, während diese in „Korra“ unter einer Vielzahl von Interessen und ideologischen Strömungen verschwimmen. Das macht eine der beiden Shows weder besser noch schlechter. Der Humor bleibt in „Der Herr der Elemente“ durchgängig besser und die Erzählstruktur ist durch ein klares Ziel letztlich deutlich befriedigender sowie emotional überzeugender.
Dafür besitzt „Korra“ innerhalb der Staffeln eine viel stringentere Struktur und schafft es nahezu ohne eine gestreckte Geschichte oder überflüssige Episode eine konzentrierte Handlung zu inszenieren. In „Avatar“ sind alle Staffeln mehr oder weniger gestreckt und vereinen dabei dennoch eine gute Mischung aus handlungsreichen sowie episodenhaften Folgen.
Die angepeilte Altersgruppe lässt sich dabei gut an dem Alter der Protagonisten erkennen. Aang, Katara und Co. sind 12-14-jährige Teenager, während Korra, Mako und Co. 16 Jahre und älter sind. Hier ist „Avatar“ definitiv im Nachteil, da ich nicht umher komme, mir das Team Avatar als mindestens 16-18-jährige junge Erwachsene vorzustellen. Das ist definitiv eine Kleinigkeit, aber wenn ich mich zurückerinnere, wo ich mit 12 Jahren geistig war, dann kann ich die Show einfach nicht richtig ernst nehmen, wenn hier im Prinzip kleine Kinder die Welt vor einem Imperium retten.
Die „Avatar“-Serie mündet mit der dritten Staffel dennoch in eines der besterzählten Finales überhaupt. Für jede Figur werden nochmals größere Herausforderungen in Aussicht gestellt, die Charaktermomente für jeden sind hervorragend und entwickeln die Figuren großartig weiter. Dabei ist auch die Sichtweise auf die Feuernation gut und wichtig, ein Aspekt, der bei vielen solchen Geschichten übersehen wird. Wer ist die Feuernation, wer und wie leben die Menschen dort?
Hier sticht einmal mehr Zukos Redemption-Arc heraus, die nicht nur herausragend umgesetzt ist, sondern die thematischen Aspekte von Imperialismus, korrumpierter Macht und einer manipulierten Gesellschaft auf den Punkt bringt. Staffel 3 ist nun jedoch auch deutlich geradliniger als die beiden vorigen Staffeln erzählt. Jede episodenhafte Folge ist immer mit essenziellem Charakter-Wachstum verbunden. Eine Art Mid-Season-Finale führt den Protagonisten sogar erneut eine schwere Niederlage vor, bis die Serie schließlich in ein Finale mündet, welches auf allen Ebenen inszenatorisch und emotional überzeugend ist.
Es ist wirklich schwierig größere Kritikpunkte innerhalb der Show zu finden. Letztlich bleibt es natürlich eine Serie für Kinder und Jugendliche und man darf trotz der aufgelisteten Themen keine allzu tiefgründige Auseinandersetzung damit erwarten. Wenn ich bei meinem Rewatch etwas ernüchtert war, dann tatsächlich in der Hinsicht, dass ich hierbei nicht viel mehr neues entdecken konnte. Die soziale Ungleichheit sieht man jetzt nochmal in einem anderen Licht, aber viel wird damit eigentlich nicht gemacht, außer dass sie eben vorhanden ist.
Ähnliches gilt für die systemische Ungleichheit, aus deren Kreislauf sich letztlich nur Katara befreien kann, aber für die übrige Gesellschaft unbeantwortet bleibt. Ansonsten sind es die weniger wichtigen Folgen, insbesondere in Staffel 1, die sich kritisieren lassen und „Avatar“ sich durchaus den Vorwurf einer unfokussierten Erzählstruktur vorwerfen lassen muss. Dennoch ist zu konstatieren, dass die Show selbst in diesem Zusammenhang keine wirklich schlechte Episode vorzuweisen hat. Selbst die Unscheinbaren sind in der Regel immer noch sehr unterhaltsam und witzig.
„Avatar“ hat lediglich die Tendenz dazu, wenn es dann mal Ernst wird, etwas gehetzt und zu schnell zu erzählen. Das trifft u.a. auf das Finale von Staffel 1 zu, wo in der letzten Folge zu viele Wendungen und Informationen in 23 Minuten integriert werden. Hier hätte man sich mehr Zeit nehmen können. Selbst das Finale von Staffel 3 hätte die Kämpfe zwischen Zuko und Azula oder Aang und Ozai durchaus über längere Zeit inszenieren oder sich einen etwas ruhigeren Abschied gönnen können.
Dieser Umstand ist vermutlich dadurch zu entschuldigen, dass die Creator ursprünglich eine 4. Staffel geplant hatten. In dieser hätte dann auch noch Azula ihre Erlösung erhalten sollen, wobei ich mir ansonsten schwer vorstellen kann, ob das weitere 10-20 Folgen gerechtfertigt hätten. Alle relevanten Details wurden mit Staffel 3 beendet und nicht jeder Bösewicht benötigt seine Wiedergutmachung.
Der einzige Nachgeschmack bleibt natürlich durch den Cliffhanger bezüglich Zukos Mutter. Letztendlich wurde dies in einem Comic aufgeklärt, aber selbst das hätte für mich keine 4. Staffel gerechtfertigt. Wenn die große Bedrohung besiegt ist, dann ist die narrative Notwendigkeit für mehr aufgebraucht. Darüber hinaus muss man sich bei „Avatar“ damit arrangieren, dass die Serie weder in Full HD noch im 16:9 oder Kinoformat vorhanden ist (obwohl im Oktober tatsächlich endlich eine Blu-Ray Variante erscheint).
Ja, diese Serie ist noch im 4:3 Format entstanden, was mittlerweile natürlich ziemlich seltsam wirkt. Zu der Zeit ergab das vermutlich noch Sinn, wobei sich die Serie in den Jahren 2005-2008 zumindest gerade so an der Schwelle befunden haben muss, an der man zu einem Breitbildformat umgestiegen wäre. Irgendwie schade, auch wenn das bei weitem kein K.O.-Kriterium ist. Gute Blu-Ray Qualität würde mir schon reichen.
Fazit: „Avatar – Der Herr der Elemente“ bringt die perfekte Balance aus emotionalen, ernsten und humorvollen Momenten. Für eine Kinderserie verbergen sich hier viele thematisch interessante Aspekte und Motive, welche die Show verbunden mit wunderschön geschriebene Charakteren und Arcs zu einer der besten Serien macht.
Genau zu wissen, wie Witz und Ernst auszubalancieren sind und die perfekte Mischung aus alldem zu finden, ist eine Stärke, die heutzutage immer seltener vorzufinden ist. Diese Welt nimmt sich und den Zuschauer ernst und schafft es dadurch ein glaubhaftes Szenario mit einem unvergleichlichen World Building zu kreieren, welches mit seinen überzeugenden Themen und nahbaren Charakteren auf ewig bestehen bleibt.
1. Staffel – Lieblingsepisoden: Die Schriftrolle (9), Jet, der Rebell (10), Der blaue Geist (13), Der Meister der Wasserbändiger (18)
2. Staffel – Lieblingsepisoden: Der blinde Bandit (6), Zukos Erinnerungen (7), Die Verfolgungsjagd (8), Der Guru (19)
3. Staffel – Lieblingsepisoden: Am Strand (5), The Puppetmaster (8), Schatten der Vergangenheit (16), Zosins Komet, Teil 3 und 4 (20/21)
9.0 von 10.0
Die Kritik im Original auf Moviepilot