American Graffiti

American Graffiti© Universal Pictures

„American Graffiti“ ist der zweite Spielfilm von Regisseur und Drehbuchautor George Lucas, der nach dem Kassenflop von „THX“ den Weg zu „Star Wars“ ebnete und bis heute zu den profitabelsten Filmen aller Zeiten gehört. George Lucas erzählt mit „American Graffiti“ eine sehr persönliche Geschichte, welche der eigenen Jugend des Regisseurs nachempfunden ist.

Francis Ford Coppola hat seinem Freund damals dazu geraten von den düsteren Science-Fiction-Dystopien Abstand zu nehmen und etwas Witzigeres sowie Unterhaltsameres zu schreiben. Lucas schöpfte aus seinen eigenen Erfahrungen und ließ „American Graffiti“ auf einer Art Paarungsritual der USA der 1950er und frühen 1960er Jahre basieren: Die Jungs cruisen mit ihren schicken Autos durch die Kleinstadt und stellen jeden Versuch an, um die Mädchen für sich zu gewinnen.

Das Hauptthema des Films ist Veränderung und die Angst vor der Veränderung. Auf der Schwelle des Erwachsenwerdens geht es darum sich für ein neues und unbekanntes Leben zu entscheiden. Die Angst, auf sich selbst gestellt zu sein und das Akzeptieren dieser Veränderung spielt eine zentrale Rolle in „American Graffiti“ und ist ein Thema, welches sich bereits in „THX“ und später auch in „Star Wars“ wiederfinden ließ.

Darüber hinaus erzählt Lucas aber auch von den Veränderungen seines Landes sowie seiner eigenen Generation. „American Graffiti“ wurde im Jahr 1972 gedreht und erzählt von einer goldenen Ära, die nur zehn Jahre zurückliegt. Das Amerika des Jahres 1962 war noch ein gänzlich anderes und es ist erstaunlich, welche Umwandlungen die Gesellschaft in nur wenigen Jahren erleben musste. Vor der Ermordung Kennedys, vor dem Vietnam-Krieg, der die USA für immer von ihrer Unschuld befreien sollte. „American Graffiti“ ist daher ein kleines Stück Geschichte; eine Geschichte über die noch unbeschwerten Zeiten Amerikas, als die Welt noch eine ganz andere war.

Und das ist sehr beeindruckend; auch sich darüber im Klaren zu werden, welchen Einschnitt Vietnam tatsächlich in den Augen der Menschen hatte. Heute sprechen die Menschen von den 80ern oder 90ern, aber würde irgendjemand auf die Idee kommen jetzt(!) einen Film über das Jahr 2010 zu machen? Wisst ihr noch, die goldene Zeit des Jahres 2010? Wohl kaum.

„American Graffiti“ mag im Vergleich zu „THX“ der deutlich zugänglichere und unterhaltsamere Film sein. Allerdings ist es aus heutiger Sicht kaum mehr nachvollziehbar, dass Lucas damals in den Augen der Studios und Filmschaffenden einen sehr experimentellen und letztlich progressiven Film gedreht hat. Die meisten Studios haben das Drehbuch abgelehnt und auch der Geldgeber Universal verzweifelte zunächst am fertigen Ergebnis. Denn vier parallel zueinander stattfindende Geschichte zu erzählen und parallel zu schneiden, war seinerzeit sehr untypisch. Geschichten hatten bei einem einzelnen Protagonisten zu bleiben und man befürchtete das Publikum zu verlieren, sobald der Handlungsverlauf mehrfach die Perspektive wechselte.

Heutzutage und bereits seit über 30 Jahren ist diese Erzählweise, besonders in Fernsehserien, völlig normal und akzeptiert. Für die frühen 1970er war „American Graffiti“ dadurch jedoch ein risikoreiches, avantgardistisches Filmprojekt. Die Zuschauer haben diese Ausrichtung viel schneller als die Studios gemocht und lieben gelernt. Das lag nicht zuletzt auch an dem Einsatz von Musik. Der Verzicht auf einen regulär komponierten Soundtrack und stattdessen die Verwendung von Schallplatten-Musik war ebenso innovativ wie die Schnitttechnik.

Musik und Sound spielten immer eine sehr wichtige Rolle in Lucas‘ Filmen. Bei der Filmerfahrung nimmt, neben dem Visuellen, in der Regel 50 % die Soundkulisse ein. Die Musikstücke bilden dabei einen großen Teil ab, wohingegen auch die Klänge in „stillen“ Sequenzen nicht zu unterschätzen sind. Der Sound erzählt die Geschichte mit.

Demgegenüber ist der filmische Stil von „American Graffiti“ interessant. Einmal mehr drehte George Lucas in einer Art dokumentarischem Stil, welcher die Seherfahrung vom choreografierten Spielfilm weg lenken sollte, um ein neues Level an Authentizität zu schaffen. In der Regel wurden dabei mehrere Kameras um das Set aufgestellt und Lucas hat seine Darsteller, ohne konkrete Anweisungen, spielen lassen. Dabei entstand eine auf Zufällen und Fehlern basierende Atmosphäre, die dem gefilmten Material erst zu ihrem Witz und Glaubwürdigkeit verholfen hat. Lucas hat manche Szenen absichtlich mehrere Male wiederholen lassen, um durch diese provozierte Chance etwas Unvorhergesehenes zu generieren.

Diese „fehlerhaften“ Einstellungen schafften es letztendlich in den Film und verliehen der Geschichte einen eigenständigen, realistischen und eben dokumentarischen Stil. Er ließ die Darsteller bewusst improvisieren, um zu sehen, was passiert und dadurch das authentischste Ergebnis zu erhalten. In der Folge hat man George Lucas diese Art des Filmemachens oft als Schwäche und Fehler ausgelegt. Lucas sei ein schlechter Regisseur, der nicht mit seinen Schauspielern zurechtkommt und ihnen keine Anweisungen gibt. Besonders im Zuge der Prequel-Trilogie verfestigte sich diese Meinung und wird Lucas bis heute nachgesagt. Ein schlechter Regisseur oder womöglich einfach eine andere Art zu arbeiten – ein anderer Stil? Eben ein dokumentarischer, avantgardistischer Stil des Filmemachens.

American Graffiti© Universal Pictures

In „American Graffiti“ geht es mehr um Themen, statt um die Handlung. Dieser Film ist ein Abbild der USA in den frühen 1960er Jahren und ist deswegen bis heute nicht nur zeithistorisch relevant, sondern verhandelt mit seinen tiefmenschlichen Themen über Veränderung und Angst wesentliche Motive des menschlichen Daseins. Lucas schrieb diese Geschichte für das Unterhaltungsmedium „Film“ überaus fortschrittlich und schuf erst durch seine experimentelle Art des Filmemachens dieses unverwechselbare Gefühl sowie den natürlichen Stil von „American Graffiti“.

7.5 von 10.0

Die Kritik im Original auf Moviepilot

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Seite verwendet Cookies, um die Nutzerfreundlichkeit zu verbessern. Mit der weiteren Verwendung stimmst du dem zu.

Datenschutzerklärung